Universität KonstanzExzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“

Die hörbare Stadt

Der Sound des Urbanen

Anne und Joachim Paech

Hintergrund

Als sich im Zuge der Modernisierung zu Beginn des 20. Jahrhunderts Großstädte zu Metropolen wandelten, waren es vor allem die visuellen Eindrücke der neuen Geschwindigkeiten, die für die urbane Erfahrung standen: Die „rasche Zusammendrängung wechselnder Bilder“ (Simmel) und die schockförmige Wahrnehmung (Benjamin) großstädtischen Lebens, die ihr Äquivalent in der filmischen Montage zu haben scheinen, haben den Gesichtssinn in der Wahrnehmung der Großstadt privilegiert. Wenn in Rilkes Malte die Straßenbahn quietscht, dann stürzt der Held ans Fenster: Das Hören ist eine Herausforderung an das „neue Sehen“. Der Film war noch stumm, nur die literarische Avantgarde hat sich in der expressionistischen Lyrik z.B. auch der Großstadt als akustisches Phänomen angenommen. Ein Text von 1908 „beschreibt“

Die Stadt der Geräusche

Es ist so wunderlich: das Krächzen der Raben, das Wehen der Winde, das Brausen der See scheint poetisch, scheint großartig und edel. Aber die Geräusche der Stadt scheinen nicht einmal der Aufmerksamkeit würdig, und doch bilden schon sie allein eine merkwürdige Welt, die auch dem Blinden die Stadt als ein reich gegliedertes Wesen erscheinen lassen muß. Man muß nur einmal hinhören und den Stimmen der Stadt lauschen. Das helle Rollen der Droschken, das schwere Poltern der Postwagen, das Klacken der Hufe auf dem Asphalt, das rasche scharfe Stakkato des Trabers, die ziehenden Tritte des Droschkengaules, jedes hat seinen eigentümlichen Charakter, feiner abgestuft als wir es mit Worten wiederzugeben vermögen. Wir unterscheiden, ohne recht zu wissen wie, sicher die Gefährte voneinander, wir brauchen die Augen nicht dazu. Diese Geräusche sind uns vertraut wie alte Bekannte. Oft freilich allzu laut, betäubend in nächster Nähe. Aber fast immer schön, wenn sie sich entfernen und allmählich leiser werdend in der Ferne verklingen.

Wie lustig klingen die rollenden Räder, wie wunderlich plötzlich wirkt ihr Verstummen, wenn eine Querstraße den Wagen aufnimmt. Wie eindringlich tönen die hallenden Schritte einsamer Fußgänger. Wie flüchtig leise, beinahe zierlich wirkt das Gehen vieler Menschen in engen Straßen, wo selten ein Wagen hinkommt, wie man es etwa in der Schloßstraße in Dresden oft hören kann. Wie gedämpft leidenschaftlich das Schieben und Schurren wartender Mengen. Wie vielfältig sind die Stimmen der Automobile, ihr Sausen beim Herannahen, der Schrei der Huppen, und dann, allmählich hörbar werdend, der Rhythmus der Zylinderschläge, bald rauschend, bald grob stoßend, bald fein in klarem Takte, metallisch klingend.

Und schließlich ganz in der Nähe die Sirenentöne der Räder, deren Speichen die Luft schlagen, und das leise rutschende Knirschen der Gummireifen. Wie heimlich klingt das tiefe Summen der Transformatoren, die in den Anschlagsäulen verborgen, mit kaum hörbaren Tönen uns berühren, wie ein Hund leise seinen Herrn mit dem Kopfe von hinten berührt.
Wie wundervoll braust der satte, dunkle Ton einer Trambahn in voller Fahrt, rhythmisch gegliedert durch das schwere Stampfen des Wagens, dann allmählich hineinklingend das harte Schlagen auf den Schienen, das Klirren des Räderwerkes, das Schlirren der Rolle und das lang nachzitternde Zischen des Zuführungsdrahtes.

Stundenlang kann man durch die Stadt wandern und ihren leisen und lauten Stimmen zuhören, in der Stimme einsamer Gegenden und dem Tosen geschäftiger Straßen ein viel verschlungenes seltsames Leben spüren. Es fehlen die Worte, den Reiz all dieser Dinge zu sagen.

aus: Die Schönheit der großen Stadt, August Endell, 1908

Die technische Aufzeichnung akustischer Phänomene war zwar mit der Phonographie möglich, wurde aber für Musik und Sprache genutzt, während Geräusche als unerwünschtes Rauschen des Mediums selbst aber auch der Umwelt, unbedingt vermieden werden sollten. Erst die Avantgarden haben nach dem Klang der Sprache auch die „Sprache der Klänge“ (von DaDa bis zur Konkreten Poesie) aufzuzeichnen versucht.
In diesem Zusammenhang ist das erste Klangbild einer Großstadt (Berlin) 1930 von Walter Ruttmann entstanden. Voraussetzung war ein Aufzeichnungsmedium, das die Klangmontage zuließ und das war die Tonspur des damals neuen Tonfilms. „Weekend“ von Ruttmann war ein Tonfilm ohne Bilder, der Ursprung einer eigenen Gattung der Hörbilder von Großstädten, die bis heute andauert, wenn sich die Geräusche der Großstadt längst zu unerträglichem Lärm gesteigert haben.

(Urbane) Hörbilder reichen heute von Hörspielen, in denen der Sound eine besondere Rolle spielt, über das rein akustische „Ereignis Großstadt“ bis zur „Musik der Geräusche“ u.a. bei Pierre Henry (musique concrète). Diese Produktion wird unter „Radiokunst“ zusammengefasst (dazu gehören u.a. auch Mauricio Kagel und John Cage; s. Heidi Grundmann) In experimentellen Dokumentarfilmen hat sich die Bilder“musik“ der Klangwelt der Großstädte angenähert, hier sind die neusachlichen sog. Städtefilme von Bedeutung (allen voran Ruttmanns „Berlin – die Sinfonie der Großstadt“, dem 2002 ein aktuelles Remake von Thomas Schadt gefolgt ist).

Neuerdings haben akustische Städtebilder Konjunktur als Städteführer im MP3-Format. Und auch die werden gerade wieder verdrängt durch Multimedia-Guides für Handys, mit denen man audiovisuell durch eine Stadt geleitet werden kann.

Projekte der sog. „Inneren Ethnologie“ (Rolf Lindner, HU Berlin) versuchen komplexe Karten der Sinneseindrücke einzelner Straßen in Berlin (Ackerstraße, Adalbertstraße, Karl-Marx-Straße) zu erstellen, die akustischen Aufzeichnungen sind wiederum musikalisch ausformuliert worden („Sensing the Street. Eine Straße in Berlin“ für ein Ausstellungsprojekt).

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Gemeinsame Produktion eines Klangbildes von Shanghai

In drei Teilen sollen

  1. nach der Vorstellung des Programms historisch-medienästhetische Voraussetzungen an Beispielen gehört und besprochen werden. Stummfilmbeispiele sollen zunächst für die „Darstellung“ des  abwesenden „Tons“ der Großstadt sensibilisieren (Ruttmann: Berlin und Chaplin: City Lights). Ruttmanns „Weekend“ soll gehört und auf die wahrgenommenen Geräusche hin diskutiert werden, evt. durch einen Ausschnitt aus Siodmaks (u.a.) „Menschen am Sonntag“ ergänzt.
    Aktuelle Beispiele sollen in die eigene Praxis der Aufzeichnung von Klangbildern überleiten: Darunter „Berlin Washingtonplatz“ und „La Ville. Die Stadt. Metropolis Paris“ von Pierre Henry, schließlich ein Klangbild der Stadt Shanghai von Stefan Fricke, das vom WDR gesendet worden ist.
  2. Verabredung und Aufgabenstellung für die Herstellung kleiner Klangbilder von Straßen in Shanghai. Besprechung der Tonaufnahme-Verfahren (statisches Mikro, bewegtes Mikro, Tonperspektiven etc.). Dann Aufbruch an Tonaufnahme-Orte, die Aufnahmen sollen charakteristische Töne in kurzen Sequenzen aufzeichnen.
  3. Abhören der Ergebnisse und deren Diskussion. Kann man Orte an ihren Klängen erkennen? (Bahnhöfe klingen anders als Märkte etc.) Kann man das Chinesische einer Stadt erkennen, sogar Shanghai als chinesische Stadt wieder erkennen? Worin liegen die markanten Unterschiede des Klangbilds einer deutschen Stadt (mitgebrachtes Klangmaterial z. B. von Berlin, Konstanz) gegenüber Shanghaier Straßen?

Schlussdiskussion

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