Universität KonstanzExzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“

Ein „Integrations-Teilgesetz“

Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Daniel Thym wurde im Bundestag als Sachverständiger zum Integrationsgesetz angehört. Im Interview legt er dar, warum es auf die Gesetze letztlich gar nicht so maßgeblich ankommt.

Herr Thym, wird das Integrationsgesetz seinem Namen gerecht?

Zitat

Der Name ist in gewisser Weise eine Mogelpackung. Wenn man den Begriff „Integrationsgesetz“ hört, denkt man: Das ist das allumfassende Gesetz, das in Deutschland die Integration regelt. Das ist aber eine Täuschung. Das Integrationsgesetz ist von seiner sachlichen Reichweite her gar nicht so sonderlich breit. Da geht es im Kern um Arbeitsmarktförderung, um Sprachkurse und um Aufenthaltsrecht. Aber ganz viele Fragen, die für die Integration zentral sind – Bildung, Wohnungsbau, Städteplanung, Sozialrecht im weiteren Sinne – werden von dem Gesetz gar nicht geregelt. Wenn überhaupt, dann ist es ein „Integrations-Teilgesetz“, das einzelne Aspekte regelt, für die der Bund zuständig ist.

Gibt es Konfliktpotential zwischen dem neuen Integrationsgesetz des Bundes und den verschiedenen Integrationsgesetzen der Bundesländer?

Nein, Konfliktpotential im engeren Sinne gibt es eigentlich nicht. Das liegt daran, dass Bund und Länder im Großen und Ganzen für unterschiedliche Bereiche zuständig sind. Sie nennen es zwar alle „Integrationsgesetz“, es sind aber jeweils keine umfassenden Regelungen, sondern immer nur Teilregelungen. Der Bund regelt Arbeitsmarktförderung und Asylbewerberleistungen, Aufenthalts- und Asylrecht. Die Länder organisieren den gesamten Bereich Schule, die öffentliche Verwaltung, die gesellschaftliche Teilhabe im weiteren Sinne. Beides existiert letztlich nebeneinander und ergibt erst in der Gesamtheit so etwas wie ein „Integrationsgesetz“.

Enthält das Integrationsgesetz Bereiche, die aus juristischer Sicht konfliktträchtig sind?

Ganz definitiv. Rechtspolitisch, aber auch juristisch umstritten ist vor allem die Wohnsitzauflage für anerkannte Flüchtlinge. Konfliktträchtig sind auch Leistungskürzungen, wenn jemand Integrationsmaßnahmen nicht wahrnimmt. Da ist vieles verfassungsrechtlich ungeklärt. Allerdings sind die juristischen Fragen zu Leistungsverkürzungen in der Praxis zumeist wenig relevant, weil sie erfahrungsgemäß nur wenige Fälle betreffen. Das ist bei der Wohnsitzauflage anders, sie soll für alle anerkannten Flüchtlinge gelten.

Die große Koalition hat das Integrationsgesetz als einen Meilenstein bezeichnet.

Ein epochales Ereignis ist es definitiv nicht. Das Integrationsgesetz ist ein vergleichsweise unspektakuläres Gesetzespaket, das viele durchaus wichtige Detailregelungen enthält. Aber letzten Endes ist es genau das: Es sind Detailregelungen. Vom Konzept her findet kein Neuanfang statt, sondern eine Fortschreibung dessen, was wir seit dem Zuwanderungsgesetz haben.

Das Integrationsgesetz ist demnach kein Wendepunkt deutscher Migrationspolitik?

Der zentrale Punkt, an dem sich die deutsche Migrationspolitik geändert hat, war das Zuwanderungsgesetz. Damals wurde entschieden, dass Menschen, die nach Deutschland kommen, nicht nur Gäste sind oder „Gastarbeiter“, die für einige Jahre bleiben und dann in ihr Heimatland zurückkehren. Sondern dass Menschen, die hier leben, auch dazugehören sollen, dass sie Bürgerinnen und Bürger dieses Landes werden sollen. Seither besteht in der Gesellschaft ein Konsens, dass „Integration“ wichtig ist, auch wenn man über den richtigen Weg und das Ziel natürlich streitet.

Brauchen wir ein Einwanderungsgesetz?

Der wahrscheinlich größte Vorteil eines Einwanderungsgesetzes wäre seine Signalwirkung für die Gesellschaft, dass Migration auch künftig zu Deutschland gehört und es kein Zurück in den geschlossenen Nationalstaat gibt. Das Problem ist aber: Wenn Leute ein Einwanderungsgesetz fordern, dann klingt das immer so, als hätten wir damit alle Probleme gelöst: Dann sind wir offiziell ein Einwanderungsland und haben ein Gesetz, welches das regelt. Aber ein Einwanderungsgesetz löst nicht die Probleme, die die Einwanderung in rechtlicher und auch politischer Hinsicht mit sich bringt.

Woran liegt das?

Das liegt unter anderem daran, dass die Beteiligten etwas sehr Unterschiedliches unter dem Begriff „Einwanderungsgesetz“ verstehen. Die einen betonen Einwanderung und schreiben Gesetz klein. Sie verstehen darunter, dass jeder, der da ist, bleiben können soll und jeder, der kommen will, auch kommen darf. Die anderen schreiben Einwanderung klein und betonen Gesetz. Sie meinen damit, dass der Staat steuern soll, dass er wie etwa in Kanada ganz konkret nach ökonomischen Kriterien auswählen soll, wer kommen soll und wer nicht.

Wie steht das deutsche Integrationsgesetz im europäischen Vergleich?

Im Bereich der Asylpolitik haben wir in Europa inzwischen unheimlich viel vereinheitlicht, im Bereich der Integrationspolitik relativ wenig. Das hat auch seinen Grund: Weil die Mitgliedsstaaten ganz unterschiedliche Arbeits- und Sozialordnungen haben, so dass Vergleiche immer schwierig sind.

Das bestätigt auch der Blick zurück: Früher, in den 1970er- und 1980er-Jahren, hatte Deutschland kein Integrationsgesetz, auch kein Zuwanderungsgesetz. Trotzdem schnitt Deutschland bei dem, was wir heute Integration nennen, im europäischen Vergleich schon damals vergleichsweise gut ab. Das lag daran, dass in Deutschland die Integration zwar nicht vom Staat verordnet worden war, aber über den Arbeitsmarkt gelebt wurde. Die allermeisten, die als „Gastarbeiter“ nach Deutschland kamen, waren in den Betrieben integriert.

Das heißt gewiss nicht, dass damals alles perfekt war. Aber es hat dazu geführt, dass die Menschen ungeachtet aller Probleme doch irgendwo in der Gesellschaft verankert waren. Das ist ein Grund, warum das deutsche Integrationsmodell immer vergleichsweise gut funktioniert hat.

Auch das aktuelle Integrationsgesetz setzt am Arbeitsmarkt an.

Das ist in der aktuellen Situation eine große Herausforderung. Alle Ökonomen sagen uns, dass angesichts des Qualifikationsniveaus und der Anforderungen, die der deutsche Arbeitsmarkt inzwischen im Jahr 2016 stellt, die Arbeitsmarktteilhabe der Flüchtlinge sehr viel schwerer zu realisieren sein wird als damals bei den Gastarbeitern, die anfangs ja alle arbeiteten. Das klassische Integrationsmodell – „wir lassen die Leute arbeiten“ – wird allein deshalb wohl nicht funktionieren, weil viele der anerkannten Flüchtlinge so schnell keinen Job finden werden. Das versucht der Staat mit Arbeitsförderprogrammen zu kompensieren – das muss aber auch erst mal funktionieren.

Was sind Ihre Empfehlungen an die Bundesregierung für die Weiterentwicklung dieses Gesetzes?

Das Entscheidende ist letztlich, dass es auf die Gesetze gar nicht so maßgeblich ankommt. Die Gesetze sind ein erster Schritt, sie sind ein Aufschlag und notwendig. Aber was dann in der Sache entscheidend ist, das ist die Umsetzung – einerseits durch die Behörden, aber andererseits auch durch die Gesellschaft. Integration kann nur von der Gesellschaft als Ganzes geleistet werden. Das kann der Staat anstoßen, mehr aber letztlich nicht.

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Kommentar

Integration kraft Gesetzes?
von Daniel Thym