Einer der Gründe für die fehlende Innovationskraft ist die begrenzte Zuständigkeit des Bundes, der das Aufenthalts-, Asyl- und Sozialrecht zu regeln vermag, aber nicht direkt auf das Schulwesen, den Umgang mit Religionsgemeinschaften oder die Ausgestaltung des sozialen Wohnungsbaus und der Stadtplanung vor Ort zugreifen kann. All diese Bereiche sind jedoch für eine erfolgreiche Integrationspolitik zentral: So bleibt das neue Gesetz des Bundes eine Teilregelung – und ist dabei nicht einmal ein Neuanfang, weil es letztlich das Integrationskonzept des „Förderns und Forderns“ fortschreibt, das der Bundesgesetzgeber seit dem Zuwanderungsgesetz (2005) verfolgt, etwa in Form der Integrationskurse.
Aus dem begrenzten Zugriff des neuen Gesetzes folgt zugleich, dass man dessen Sanktionsdrohungen nur dann adäquat bewerten kann, wenn man sich bewusst macht, dass parallel alle Instrumente einer aktivierenden Bildungs- und Sozialpolitik fortbestehen. Jedes Rechtsgebiet folgt seiner eigenen Logik und speziell das Aufenthaltsrecht knüpft hierbei den Übergang zu „besseren“ Titeln bis hin zur Einbürgerung traditionell auch an Integrationserfolge. Von daher bedeutet es keine Absage an eine fördernde Integrationspolitik, wenn die unbefristete Niederlassungserlaubnis künftig für Flüchtlinge erst bei fortgeschrittenen Deutschkenntnissen und einer überwiegenden Lebensunterhaltssicherung gewährt wird (§ 26 Abs. 3 AufenthG). Für Amerikaner, Türken und Ukrainer gelten seit Jahren noch strengere Regeln.
Hinzu kommt, dass Integration vom Staat nur teilweise gesteuert werden kann. Die Aktivitäten der Sportvereine, der Unternehmen, der Ehrenamtlichen, der Kirchen und Moscheegemeinden sowie der alltägliche Kontakt zwischen den Bürgerinnen und Bürgern sind für die Integration mindestens ebenso wichtig wie die staatlichen Gesetze. Letztere können einen Rahmen bieten, gelebt werden muss Integration letztlich von der Gesellschaft.
Kontroverse Details
Damit wäre zugleich eine der umstrittensten Bestimmungen angesprochen: die Wohnsitzauflage, die nach dem Willen des Gesetzgebers eine halbwegs gleiche Verteilung der Flüchtlinge im Bundesgebiet erreichen und damit auch soziale Kontakte fördern soll. Allerdings sind die Regeln hierfür überaus kompliziert geraten (§ 12a AufenthG), sodass die Wohnsitzauflage ihre Praxistauglichkeit und Gerichtsfestigkeit erst noch wird beweisen müssen. Diese Komplexität ist kein Zufall, sondern folgt den politischen Meinungsverschiedenheiten und den Vorgaben, die der Europäische Gerichtshof in einem Urteil vom März dieses Jahres getätigt hat.
Ebenfalls umstritten ist eine andere Neuerung: das Bleiberecht für die so genannten Geduldeten für die Zwecke einer Berufsausbildung (§ 60a Abs. 2 AufenthG). Was sinnvoll klingt, ist dennoch problematisch, weil es eine Legalisierung des Aufenthalts von Personen bewirkt, deren Asylantrag von den Behörden und Gerichten abgelehnt wurde und die daher eigentlich ausreisen müssten. Normal werden solche Legalisierungen erst nach mehreren Jahren durchgeführt, nachdem sich gezeigt hat, dass die Abschiebung gescheitert ist und aus dem langjährigen Inlandsaufenthalt die normative Erwartung einer gesellschaftlichen Teilhabe folgt. Mit dem Integrationsgesetz soll sich dies ändern. Im Fall einer Berufsausbildung entsteht dann direkt nach einem abgelehnten Asylantrag ein Rechtsanspruch, zuerst eine Duldung und später eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. So wandelt sich die Asylzuwanderung zur Wirtschaftsmigration.
Damit sendet der Gesetzgeber scheinbar widersprüchliche Signale aus, weil die Asylpakete I und& II soeben erst die Abschiebung erleichtern sollten. Dies ist durchaus typisch für Fragen des Aufenthaltsrechts, weil man dieses häufig aus zwei Blickwinkeln betrachten kann: der Integrationsförderung und der Migrationssteuerung. Der Gesetzgeber befindet sich in einem Dilemma, wenn er eine Regelung für Personen, die bereits im Land sind, für sinnvoll erachtet, dieselbe Regelung zugleich jedoch die Durchsetzung der Ausreisepflicht erschwert. Dieses Dilemma würde auch ein „Einwanderungsgesetz“ nicht auflösen können, weil dieses nicht die Frage erübrigte, darüber zu entscheiden, wer kommen soll und bleiben darf.
Was bleibt vom Integrationsgesetz des Bundes? Es steht zu erwarten, dass es sich als großer Wurf nur dem Namen nach erweisen wird. Dabei ist das Thema viel zu wichtig, um es in einigen Detailregelungen zu erschöpfen. Denn nicht auf den rechtlichen Einzelheiten gründet das Interesse der breiteren Öffentlichkeit; bei der Debatte geht es um mehr: Die Integrationsgesetzgebung dient als Kristallisationspunkt für eine gesellschaftliche Selbstvergewisserung über die Grundlagen des Zusammenlebens.
Hierzu hat das Bundes-Integrationsgesetz überraschend wenig zu sagen. In der vorliegenden Form signalisiert es allenfalls, dass kein größerer Anpassungsbedarf bestehe, weil die Politik alles unter Kontrolle habe und die Flüchtlinge das Notwendige in Integrationskursen lernen werden. Diese Beruhigung kann in Zeiten einer erhöhten Zuwanderung ein Selbstzweck sein. Auf Dauer wird die Einwanderung der Flüchtlinge jedoch mehr erfordern als Integrationskurse und Arbeitsmarktförderung. Denn sie wird den ohnehin stattfindenden Wandel im Selbstbild der deutschen Gesellschaft beschleunigen. Von einem wahrhaften Integrationsgesetz kann man hier mehr Inspiration auch dann erwarten, wenn Integration von staatlichen Gesetzen nicht verordnet werden kann, weil die Gesellschaft diese leben muss.
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Interview
Ein „Integrations-Teilgesetz“
von Daniel Thym