Universität KonstanzExzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“

Integration im Kursformat

Die Tücken erhöhter Standardisierung

Kommentar zum neuen Integrationsgesetz aus ethnologischer Perspektive

Anna Louban

Am 25. Mai 2016 brachte die Bundesregierung einen Gesetzesentwurf für das erste Integrationsgesetz in Deutschland auf den Weg. Zum ersten Mal sind Flüchtlinge mit guter Bleibeperspektive direkte Adressaten von Integrationsangeboten und -maßnahmen. Der vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) entwickelte und finanzierte Integrationskurs wird dabei als „das staatliche Kernangebot zur nachhaltigen sprachlichen und gesellschaftlichen Integration von Zuwandernden mit aufenthaltsrechtlichen und leistungsrechtlichen Auswirkungen“ verstanden. Angekündigt sind Anpassungen des Integrationskurssystems, um dem gesteigerten Bedarf an Kursangeboten gerecht zu werden und „mehr Effizienz sowie Transparenz“ zu erreichen.

Als Ethnologin mit Schwerpunkt Migrations- und Bürokratieforschung untersuche ich, wie gesetzliche Vorgaben und ihre Umsetzung in der Alltagspraxis von Behörden und Integrationskursen zusammenspielen. Effizienz- und Transparenzbemühungen gehen dabei stets mit Prozessen der Standardisierung einher. Werden diese von übergeordneten und mittelgebenden (Bundes-)Behörden – also top-down – eingeführt, weisen sie eine akkumulative Dynamik auf, wie meine Forschungsergebnisse zeigen: In der alltäglichen Praxis des ausführenden Verwaltungs- und Lehrpersonals ersetzen neu eingeführte Standards die bestehenden Verfahren oftmals nicht, sondern stellen zusätzliche Arbeitsschritte dar.

Bezogen auf das neue Integrationsgesetz kann das bedeuten, dass die formulierten Standards der „fördernden und fordernden“ Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen (z.B. Wohnsitzauflage oder Sanktionen bei Nichtwahrnehmung von Integrationskursmaßnahmen) zu zeitaufwendigen Kontrollverfahren und Dokumentationen führen, die zu Lasten des Lehrpersonals und des eigentlichen Unterrichts gehen.

Das Modell Integrationskurs …

Im Jahr 2005 wurde ein bundesweit standardisierter Deutschunterricht für alle Ausländerinnen und Ausländer mit rechtmäßigem gewöhnlichem Aufenthalt vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eingeführt: die Geburtsstunde des Integrationskurses. Dieses Angebot richtete sich vor allem an Migrantinnen und Migranten, die bereits seit Jahren und Jahrzehnten in Deutschland lebten, aber auch an neu eingereiste Zuwandernde. Er umfasste 600 Unterrichtseinheiten (UE) Sprachunterricht und 30 weitere Einheiten zum kulturellen, politischen, historischen und sozialen Leben in Deutschland (Orientierungskurs).

Dem standardisierten Curriculum standen jedoch die unterschiedlichen fremdsprachlichen Vorkenntnisse, Lerngewohnheiten und Lebensumstände der Migrantinnen und Migranten gegenüber. In Folge der Diskrepanz zwischen verordnetem Standard und gelebter Vielfalt entstanden zahlreiche Variationen des Integrationskurses: beispielsweise der Intensivkurs für Lerngeübte, der Integrationskurs für junge Erwachsene, der Abendintegrationskurs für voll- oder teilerwerbstätige Migrantinnen und Migranten, der Elternintegrationskurs für Eingewanderte mit Kindern im schulpflichtigen Alter sowie ein bei Bedarf vorgeschalteter Alphabetisierungskurs. Mittlerweile umfasst ein Integrationskurs zwischen 400 und 1200 Stunden Deutschunterricht, innerhalb derer die Kursteilnehmenden das fortgeschrittene Sprachniveau B2 erreichen sollen. Der Orientierungskurs beinhaltet indes je nach Kursformat 30 oder 60 Unterrichtseinheiten.

... und seine Herausforderungen

Den administrativen und zeitlichen Mehraufwand des Standardisierungsanspruchs des BAMFs tragen vor allem die Deutsch Unterrichtenden, da ihnen eine doppelte Funktion zukommt. In ihrer Rolle als Integrationskursleitungen führen sie den Sprachunterricht durch und in ihrer Funktion als Kursberatung ermitteln sie anhand der individuellen Vorkenntnisse und Lerngewohnheiten der Migrantinnen und Migranten das für sie jeweils passende Kursmodell: In einem persönlichen Gespräch bestimmen sie das mündliche Sprachniveau anhand der Ausdrucksfähigkeit der oder des (potentiell) neuen Kursteilnehmenden. Schriftsprachliche Kenntnisse werden in Testbögen erfasst. Zusätzlich zu diesen vom Träger und/oder Lehrpersonal entwickelten und bewährten Einstufungstests wird auch ein standardisierter Test des BAMFs durchgeführt. Letzterer dient lediglich der korrekten Dokumentation und Antragstellung für die teilnahmebezogene Kostenübernahme durch das Bundesamt.

Außerdem müssen die Integrationskursleitungen An- und Abwesenheiten der Kursteilnehmenden bis auf eine Viertelstunde genau dokumentieren. Dabei sind sie angehalten, die Kategorien, in die teilnehmende Migrantinnen und Migranten unterteilt sind – Selbstzahlende und Teilnehmende mit Teil- bzw. Vollkostenerstattung durch das BAMF – stets im Blick zu behalten. Ob die selbstständig beschäftigten Lehrkräfte diese aufwendige Dokumentation innerhalb der für den Unterricht vorgesehen Zeit oder aber in ihrer Freizeit anfertigen, obliegt ihrer Entscheidung.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass, obschon die Öffnung der Integrationsangebote für Flüchtlinge begrüßenswert ist, das Integrationsgesetz sich auch bedenkliche Anliegen zum Ziel setzt. Die praktische Umsetzung dieser Vorhaben kann zu negativen Auswirkungen für die Durchführung der Integrationskurse führen, die es eigentlich zu optimieren sucht. Die systematische Doppelung der Test- und Kontrollvorgänge sowie die eingeforderten Dokumentationszwänge dienen in vielen Fällen einzig der Dokumentation der Standardisierung selbst und belasten Lehrende mit einem zusätzlichen Arbeitsaufwand. Dieser akkumulativen Eigenschaft von Prozessen, die auf Standardisierung und Effizienzsteigerung ausgerichtet sind, gilt es bei der Umsetzung des Integrationsgesetzes achtsam zu begegnen, zum Wohle der Migrantinnen und Migranten wie auch der Kursverantwortlichen.

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