Universität KonstanzExzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“

Arbeitsplatz gleich Integrationserfolg?

Thomas Wöhler

Die zügige Integration von Migrantinnen und Migranten, insbesondere von solchen mit einer „guten Bleibeperspektive“, in die Gesellschaft und dabei vor allem in den Arbeitsmarkt ist das Ziel des derzeit im Bundestag diskutierten Integrationsgesetzes. Doch kann man Integration auf den Bereich des Arbeitsmarkts beschränken? Oder anders gefragt: Ist Integration gleichzusetzen mit Arbeit?

Zitat

Der folgende Text entwickelt keine volkswirtschaftliche Analyse der Kosten und Nutzen von Einwanderung, sondern nimmt die Perspektive der Zuwandernden und Geflüchteten ein. Setzen wir bei der Frage an, was zu Integration gehört:

Welche Aspekte umfasst Integration?

Es gibt mehrere Ansätze, die verschiedenen Dimensionen der Integration von Migrantinnen und Migranten zu fassen. Diese Ansätze unterscheiden sich letztlich jedoch nur in der Einteilung, nicht in den zugrunde liegenden Indikatoren. In den deutschsprachigen Sozialwissenschaften wird hier in der Regel zwischen vier Dimensionen unterschieden: Platzierung, Interaktion, Kulturation und Identifikation.

  • Unter Platzierung fällt dabei alles, was organisatorisch mit dem Ankommen in einer Gesellschaft verbunden ist (was aber nicht selbstverständlich sein muss): eine Wohnung, eine Arbeit, ein Platz in einer Schule, gewisse verbriefte Rechte und Pflichten.
  • Interaktion ist der persönliche Austausch zwischen den Ankommenden und den Mitgliedern der Aufnahmegesellschaft: Bekanntschaften, Freundschaften bis hin zu Eheschließungen.
  • Kulturation umfasst das nötige Wissen und die Fertigkeiten in der Aufnahmegesellschaft. Besonders zentral ist hier der Erwerb der Sprache. Sprache ermöglicht nicht nur Kommunikation, sondern transportiert auch unausgesprochene Regeln und Wertigkeiten in einer Gesellschaft.
  • Mit Identifikation ist schließlich ein emotionales Zugehörigkeitsgefühl gemeint. Dieses kann sich nicht nur zum Nationalstaat entwickeln, sondern auch zur Nachbarschaft oder zur eigenen Stadt.

Platzierung, Interaktion, Kulturation und Identifikation – diese vier Dimensionen stehen in einem engen Verhältnis zueinander. Früher hat man sich den Integrationsprozess als zeitlich gestaffelte Abfolge der Integration entlang dieser Aspekte vorgestellt, wobei der jeweilige „Integrationserfolg“ bei einem Merkmal die Voraussetzung des „Integrationserfolgs“ beim nächsten war: Migrantinnen und Migranten kommen also nach Deutschland, sie finden eine Wohnung und Arbeit (Platzierung), bei der Arbeit und in der Nachbarschaft ergeben sich Kontakte zu Deutschen (Interaktion); bei diesem Austausch lernen sie Deutsch und die in Deutschland herrschenden Regeln des Zusammenlebens (Kulturation) und schließlich identifizieren sie sich mit Deutschland.

Dieses Schema – so stellte sich rasch heraus – ist letztlich zu einfach und ließ sich allenfalls auf den Sonderfall der Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter, die in den 1960er Jahren ohne Sprachkenntnisse für bestimmte Arbeiten angeworben wurden, anwenden. Wie man heute weiß, stehen alle vier Dimensionen in einem komplexen kausalen und zeitlichen Verhältnis zueinander. So kann Sprache vor allem in der Kommunikation mit Muttersprachlern gelernt werden, zugleich ist jedoch ein Grundverständnis der Sprache notwendig, um diese Kontakte überhaupt aufbauen zu können. Auch eine Identifikation mit dem Gastland findet ohne Kontakte zu seinen Bewohnern schwerlich statt, in Gruppenbildungsprozessen wiederum stellt die Identifikation mit einer bestimmten Gruppe eine wichtige Voraussetzung dafür dar, dass soziale Beziehungen überhaupt entstehen.

Was macht erfolgreiche Integration aus?

Allgemein verstehen wir unter Integration den Einbezug einer gesellschaftlichen Gruppe (in diesem Fall Zuwandernde beziehungsweise Geflüchtete) in eine größere gesellschaftliche Gruppe (schon in Deutschland lebende Menschen). Dies kann als Angleichung beider Gruppen geschehen, wahrscheinlicher jedoch passt sich die kleinere an die größere Gruppe in den verschiedenen, oben ausgeführten Merkmalen an. Es geht hier – und das ist wichtig – um die Gruppenperspektive, nicht um Einzelfälle, die es in jeder sozialen Gruppe gibt.

Ob man erst bei Angleichung in allen Dimensionen über Integrationserfolg sprechen kann, also ob Migrantinnen und Migranten erst als integriert gelten, wenn sie sich mit Deutschland identifizieren und – alltagsweltlich gesprochen – die deutsche Küche bevorzugen, ist eine normative Frage. Sie ist nicht mehr Teil der Sozialwissenschaften. Werden soziale Beziehungen, kulturelle Ansichten und Identifikation, wie auch im Grundgesetz vorgesehen, der Privatsphäre zugeordnet, entziehen sie sich ohnehin politischer Steuerung.

Empirisch lassen sich mit der Zeit in allen Bereichen der Integration Angleichungen beobachten. Die Geschwindigkeit dieser Angleichungsprozesse spielt bei Merkmalen, die die Lebensbedingungen nicht einschränken, wie beispielsweise der Identifikation, keine Rolle. Problematisch für eine Leistungsgesellschaft, als die sich Deutschland entwirft, werden hingegen Merkmale, die die Lebenschancen einschränken, wie die Bildung und der berufliche Status, zumal gerade in diesen Bereichen die soziale Weitergabe besonders groß ist.

Dem kann eine Politik entgegenwirken, die ein besonderes Augenmerk auf die soziale Ungleichheit richtet, also danach trachtet, ungleichen Zugang zu Arbeit, ungleiche Bildungsabschlüsse und ungleichen beruflichen Status von Zuwandernden und Einheimischen zu vermeiden. Aufgrund der Fürsorgepflicht des Staates für seine Bürgerinnen und Bürger (und deren Nachkommen) und des Fakts, dass Maßnahmen im Bereich der Arbeitsmarktförderung am effektivsten sind, ergibt es Sinn, dass sich der Staat bei seinen integrativen Maßnahmen hauptsächlich auf Sprache und Arbeit konzentriert. Dies unterstützt Migrantinnen und Migranten auch dabei, ihr Leben selbstbestimmt und unabhängig von staatlicher Unterstützung führen zu können.

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