Universität KonstanzExzellenzcluster: Kulturelle Grundlagen von Integration

Wissenschaftliches Konzept

Die Forschungen des Exzellenclusters bewegen sich im Spannungsfeld zwischen zwei Begriffen: Kultur und Integration. Der Ausdruck „Kulturelle Grundlagen“ ist nicht nur gewählt, um den grundlagentheoretischen Anspruch des Unternehmens zu betonen. Er soll darüber hinaus schon im Titel die Arbeitshypothese markieren, dass kulturelle Mechanismen und Gesetzmäßigkeiten bereits auf der Ebene basaler gesellschaftlicher Steuerungen wirksam sind. „Kultur“ wird somit nicht auf ein Gemeinsamkeit verbürgendes Substrat reduziert.

Integration dagegen ist eines der Schlüsselwörter der Sozial- und Systemtheorien. Allerdings wird auch dieser Begriff keinesfalls in einem traditionellen, normativen Sinn verstanden. Integration meint für den Cluster ganz allgemein den Aufbau sozialer Ordnungsmuster jeglicher Qualität, die eine bindende Wirkung entfalten. Dass dies gelingt, ist keineswegs selbstverständlich. Man darf Integration nicht als Regelfall ansehen, von dem Desintegration dann die Abweichung wäre. Vielmehr stellen Integration und Desintegration gleichursprüngliche und für die Einsicht in soziale Prozesse gleichrangige Möglichkeiten dar.

Soziale Ordnung ist ein in mehrfacher Hinsicht voraussetzungsreiches und unwahrscheinliches Phänomen. Sie muss sich fortlaufend selbst garantieren und ist dabei auf kulturelle Ressourcen angewiesen: auf Kohärenz stiftende und zugleich Variation ermöglichende Rituale, Symbole, Narrative, Gründungsmythen und Selbstbilder, in denen sie sich als Einheit und Ganzheit imaginiert.

„Kultur“ ist aber nicht allein dafür zuständig, gegebene soziale Verhältnisse mit Sinn und Legitimation zu beliefern. Kulturelle Semantiken und soziale Strukturen bilden sich nicht isomorph aufeinander ab, sondern stellen zwei interdependente Größen dar, die sich auf spannungsreiche und dynamische Weise wechselseitig hervortreiben, bedingen und irritieren.

Das wissenschaftliche Konzept des Clusters geht von der Arbeitshypothese aus, dass in Anbetracht jüngster Entwicklungen, nicht zuletzt im Zusammenhang mit Prozessen der Globalisierung, Beschreibungsmodelle für dezentrierte Organisationsweisen des Sozialen gefunden werden müssen. Dies stellt eine erhebliche sozialwissenschaftliche, historische, kulturtheoretische und epistemologische Herausforderung dar. Mit der Entscheidung, Integration und Desintegration als beobachterabhängige und sich vielfältig überlagernde Vorgänge zu behandeln, statt den Begriff der Integration normativ zu privilegieren, verbindet sich deshalb eine entsprechende Umstellung des verwendeten Kulturbegriffs.

„Kultur“ soll nicht vorrangig darauf verpflichtet werden, sozialen Konsens zu gewährleisten, sondern umfasst das Kontinuum aller Abweichungsgrade innerhalb von Praktiken und Diskursen und bringt dadurch einen Möglichkeitsüberschuss hervor, ohne den — so die Vermutung — Gesellschaften nicht hinreichend elastisch auf ihre innere Uneinheitlichkeit und Kontingenz zu reagieren vermöchten.

Die Frage nach dem Verhältnis zwischen kulturellen Dynamiken und sozialen Dispositionen zählt zu den Kernfragen aller Kulturtheorien. Sie lässt sich nicht sub specie aeternitatis beantworten, sondern bedarf historisch breit gefächerter empirischer Studien. Im Spektrum der Untersuchungsgegenstände von Gruppen, die auf face-to-face-Interaktion beruhen, bis hin zu virtuellen Nachbarschaften im Rahmen globaler Vergesellschaftung haben kulturelle Faktoren jeweils ganz unterschiedliche Auswirkungen auf Prozesse der Integration/Desintegration. Es ist davon auszugehen, dass besondere soziale bzw. politische Ordnungen eine „Kulturalisierung“ oder „De-Kulturalisierung“ ihrer Integrationsgrundlagen erfahren. Für diesen Umstand müssen hinreichend komplexe Beschreibungsmodelle gefunden werden. Und genau dies zu unternehmen, hat sich der Konstanzer Exzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“ zum Ziel gesetzt.