Strich für Strich
Wie ein Roboterarm Bibliotheks-Besucher mit seiner Malerei entzückt
Eine Reportage von Karin Stork
Malroboter e-David steckt in einer schöpferischen Krise: „Too many close points!“ So lautet seine beinahe hysterisch wirkende Bildschirmnachricht. Marvin Gülzow, Doktorand am Fachbereich Informatik und Informationswissenschaft der Universität Konstanz, eilt e-David zur Hilfe. „Wahrscheinlich stehen zu viele Leute in seinem Malbereich“, nimmt Gülzow an, tippt auf der Computer-Tastatur herum, die mit dem Malroboter verbunden ist und bringt e-David schließlich dazu, weiter zu malen.
Das Roboterärmchen scheint wieder zufrieden zu sein. Mit steter Bewegung tunkt e-David seinen Pinsel in einen schwarzen Farbtopf und streift überflüssige Farbe in einer Kreisbewegung am Topfrand ab. Dann malt er Schlaufen und Kringel auf ein Reispapier, das vor ihm auf ein Tischchen gespannt ist. Gülzow entwickelte e-Davids Fähigkeiten so weiter, dass er nun die Bewegungen der Menschen zeichnet, die den Seitentrakt der Bibliothek der Universität Konstanz betreten. Er zeigt auf die Bibliotheks-Decke neben dem Café und erklärt: "Dort oben haben wir eine gewöhnliche Sicherheitskamera installiert. E-David empfängt über die Kamera und zwei Computer die aufgenommenen Bewegungsverläufe wie auf einem Koordinatensystem." Nur die harmonischen Verläufe malt der Roboter dann „simultan und live“, so Gülzow. Zu kurze oder zackige Verläufe würden herausgefiltert, fügt er hinzu.
An diesem Abend ist e-David etwas überfordert, da sich außergewöhnlich viele Leute im Seitentrakt der Bibliothek versammelt haben. Zusätzlich zu den üblichen Studierenden kamen heute viele, um die Midissage von Künstlerin Liat Grayver zu besuchen, die derzeit als Artist in Residence am Kulturwissenschaftlichen Kolleg Konstanz arbeitet. „(Learning) The Grammar of the Act“ ist der Titel ihrer Ausstellung. Neben dem Malroboter sind die vielen Besucher gekommen, um die Vorträge von Prof. Dr. Frederic Fol Leymarie und Daniel Berio von der Goldsmiths University of London über „Movement Computing to Model a Class of Visual-Art Productions“ zu hören.
Die beiden Wissenschaftler präsentieren zu Beginn der Midissage ihre Arbeit mit robotischen Künstlern wie e-David, mit denen sie die Mensch-Computer-Zusammenarbeit im Bereich Kalligraphie und Graffiti erforschen. Im Anschluss an die Vorträge bestaunen die Besucher schließlich mit einer Butterbretzel vom Buffet und einem Glas Wein in der Hand den kreativen Roboterarm. E-Davids Erscheinungsbild würde man sonst eher einem Schweißroboter am Fließband der Automobil-Industrie zuordnen.
Gülzow erklärt, was ihn an dem Projekt motiviert: „Für den Fortschritt in der Robotik ist e-David relevant, weil wir viel über die Arbeit mit weichen Materialien herausfinden können.“ Die Künstlerin Grayver sieht in e-David noch ganz anderes Potenzial: „Durch die Interaktion mit Robotern gewinnen wir in der Malerei neue Möglichkeiten, uns auszudrücken. Das befreit unsere Art zu denken.“ Sie erklärt, dass jede künstlerische Epoche sich durch und mit ihren technischen Innovationen verändere und somit wiederum der Stil der Malerei.
Auf die Frage, ob Malroboter wie e-David die Zukunft der Kunst seien und den Menschen überflüssig machen würden, antwortet sie: „Ich hoffe nicht. Es ist eher wie mit der Techno-Musik der 80er-Jahre. Alles fusioniert.“ Außerdem sei Kunst generell interaktiv und benötige gewisse Medien, sei es Pinsel oder Reispapier, auf dem e-David malt.
Das Material führt zusätzlich zu einem gewissen Kontrollverlust, den Grayver bewusst erzielen möchte: Das Interagieren von Farbe, Wasser und Reispapier bringe genau diesen künstlerischen Effekt. Jedoch habe sie nicht nur positive Reaktionen bezüglich ihrer Ausstellung erfahren. Die Künstlerin berichtet:
Einige Leute ärgern sich über e-David. Sie denken, dass Menschen Kunst machen sollen und nicht Maschinen. Das sind aber nur ein paar wenige konservative Stimmen. Kinder hingegen freuen sich immer.
Eine Woche später, am vorletzten Tag der Ausstellung darf sich e-David noch einmal richtig austoben: er malt nun nicht mehr in Schwarz-Weiß-Grau, sondern mit knalligem Blau und Rot, das teils zu Lila verschmilzt. Als Betrachter lässt man sich leicht verführen, das kreative Roboterärmchen zu vermenschlichen: Es scheint, als würde e-David das sonnige Wetter an diesem Tag in seiner Kunst ausdrücken wollen. Als wäre der Farbwechsel seine bewusste Entscheidung. Und wenn man ihm nur lange genug beim Malen zuschaut, interpretiert man e-Davids Bildschirmnachricht „too many close points!“ eben nicht mehr als technische Störung, sondern als schöpferische Krise.
Text und Fotos: Karin Stork
Liat Grayver ist seit Oktober 2018 Artist in Residence am Kulturwissenschaftlichen Kolleg Konstanz. Dort arbeitet sie zum Projekt "Human-Machine Interaction as a Neutral Base for a New Artistic and Creative Practice".