Wissen und Nichtwissen der Investoren
Eine Skizze zu einer Economics of Persuasion
von Birger P. Priddat
Publikation
Birger P. Priddat: Economics of persuasion. Ökonomie zwischen Markt, Kommunikation und Überredung. Weimar (Lahn): Metropolis, 2014.
Das Buch entstand während Priddats Forschungsaufenthalt am Kulturwissenschaftlichen Kolleg Konstanz 2011/2012.
Der Investor hat eine Idee, was sich künftig als rentierlich erweisen könnte, von der er so überzeugt ist, dass er es wagt, sie zu realisieren (indem er produziert oder Finanzpapiere kauft).
Ob sich die Investition auszahlt, weiß er nicht, er hat aber gute Gründe zu erwarten, dass dies der Fall sein wird. Es reicht jedoch nicht, dass er die Idee und gute Gründe hat, sondern er muss dafür andere überzeugen. Zuerst den Bankier, dass er ihm das Kapital leiht, dann die Mitarbeiter, wenn er eine Firma hat, dass sich das, was er vorhat, zu produzieren lohnt, und letztlich – entscheidend – die potentiellen Nachfrager in den Märkten.
Geltung erlangen Investitionen durch die zahlungsbewährte Überzeugung anderer: der Nachfrager, die sich von dem neuen Produkt – es muss gar nicht einmal gleich eine Innovation sein – so überzeugen lassen, dass sie es kaufen. Die erfolgende Transaktion ist in der Ökonomie der einzige Geltungsnachweis. Erst durch diese transaktionale Rezeption und Geltung wissen wir, dass wir etwas wissen bzw. dass die Investition erfolgreich und profitabel war.
Die ganze Zeit über bleibt der Investor ungewiss, ob sich sein Projekt rentieren wird. In seiner Vorstellung ist er aber hochgewiss oder zumindest zuversichtlich; andernfalls hätte er gar nicht zu investieren gewagt. Aber diese Gewissheit beruht nicht auf einem Wissen, sondern auf Erwartungen und Hoffnungen. Erwartungen sind Einschätzungen, irgendwie den künftigen Markt und die Verkaufbarkeit des Produktes zu kennen. Fragt man die Investoren, sind sie sich „sicher, dass es klappt“. Sie brauchen diese Form der Gewissheit, um handlungs- und entscheidungsfähig zu werden. Sie selber erklären es damit, „dass sie den Markt kennen“, was aber wiederum nur eine subjektive Einschätzung ist, eine Art Intuition, aber kein Kennen oder Wissen. Das, was sie kennen, sind ihre Erfahrungen, die aber notorisch aus vergangenen Märkten stammen. Da sie sich mit jeder Investition auf etwas Neues einlassen (neue Produkte, neue Märkte oder neue Marktsituationen), begeben sie sich in einen Zustand, der systematisch erfahrungslos ist. Ihr Rekurs auf ihre Erfahrungen aber gewährleistet ihnen subjektiv, handlungsmächtig zu bleiben, indem sie sich auf etwas stützen, was wie ein Wissen aussieht, auch wenn sie wissen könnten, dass das nur bedingt gilt. Ihre Gewissheit ist ein riskantes Wissen, das heißt: von der Form einer ungewissen Gewissheit.
Das Nichtwissen um die neuen Marktbedingungen wird zum einen notorisch ausgeblendet (hier hat die englische Sprache das schöne Wort ignorance für Nichtwissen), zum anderen durch Simulation von Wissen ersetzt, indem man die Wahrscheinlichkeit des künftigen Investitionserfolges einschätzt. Die Ökonomik berechnet die Chancen, und gibt dem Akteur somit eine gewisse Gewissheit, die, genauer betrachtet, eine ungewiss Gewissheit ist: Sie reduziert die Ungewissheit auf ein Risikokalkül. Ein Kalkül einzusetzen stützt die grundsätzliche Überzeugung, das Richtige zu tun. Es hat die Form einer Bestimmtheit des Eintritts, da es als Zahl daherkommt. Die angenommene Wahrscheinlichkeit – sie ist in diesen Fällen grundsätzlich subjektiv ermittelt – erweitert das Handlungsbewusstsein als starkes, zusätzliches Argument zur anfänglichen Überzeugung. Sie bestätigt gleichsam die Überzeugung, überzeugt aber auch beispielsweise den Bankier, der im business plan Zahlen vorfindet. Zahlen sind in der modernen ökonomischen Semantik prima facie überzeugende Argumente (wenn auch jeder weiß, dass das, was geplant ist, nur fiktiv sein kann. Ein business plan ist nur der Nachweis, dass der Unternehmer eine gewisse Kohärenz seiner Investitionsidee beweisen kann: ein rhetorischer Plan).
In dem Moment, in dem man sich auf (scheinbar) sicheres Wissen verlässt, beginnt man, den Prozess zu unterschätzen, in dem man sich befindet: die möglichen neuen Konstellationen.
Die Überraschung, sich plötzlich in einer neuen Situation wiederzufinden, auf die die Investitionsidee (sie hat ja selber schon ein kleines Alter) nicht mehr passt, kann jederzeit eintreten. In ihr gelten die alten Markterfahrungen nicht; das Wissen erweist sich als unbrauchbar. Das geschieht gerade exzellenten Kennern der Märkte, weil sie sich so gewiss sind zu wissen, was sie tun, dass ihr frame sie die Umbrüche nicht sehen lässt. Sich auf sich selber zu verlassen, weil man sich für erfahren hält, und nicht andere zu beobachten, um neue Erfahrungen zu machen, die den eigenen produktiv widersprechen, ist riskant. In dem Moment, in dem man sich auf (scheinbar) sicheres Wissen verlässt, beginnt man, den Prozess zu unterschätzen, in dem man sich befindet: die möglichen neuen Konstellationen.
Man beruft sich oft auf die Häufigkeit alter Erfolge. Doch sind auch diese Häufigkeitserfahrungen der Investoren nicht zureichend für die Erklärung des Wagnisses. Das unternehmerische Moment bestimmt den Prozess noch auf andere Weise. In der investorischen Idee birgt sich eine Vorstellung von etwas Nützlichem, etwas neuem Brauchbaren oder nur Attraktivem, von dem andere dann, wenn es im Angebot sein wird, ebenso überzeugt sind wie der Investor bereits im Moment seiner Idee. Dass man auch einen Profit erwartet, ist nicht das dominante Ziel, weil darin die Überzeugung, die den ganzen Investitionsprozess trägt, nicht vorkommt. Niemand wird ein Produkt kaufen, damit der Investor Profit macht. Das heißt, dass in der investorischen Idee zugleich eine Überzeugung anwächst, die nicht nur den Investor einnimmt, sondern er kann sich vor allem vorstellen (vermuten), dass andere ebenso davon eingenommen werden werden (economics of guess). Es ist ein Wissen um etwas, was andere einnimmt und ganze Marktpopulationen erfassen kann, Teile der Gesellschaft. Dem Investor stellt es sich als ein öffentliches Gut dar, das jeden informiert, das jeder wahrnimmt und – hoffentlich – daran teilhaben will. Erst durch den Kauf wird es privatisiert. Die ganze werbliche Kommunikation beruht auf diesem primären Public-Good-Charakter der innovativen Investition. Wird das Produkt zur Marke, ist der Preis nicht vordringlich der Preis des Gutes, sondern der Eintrittspreis in eine Sonderform des öffentlichen Gutes: eines Club-Gutes, an dem die Käufer teilhaben wollen, nicht nur durch den bloßen Konsum, sondern durch die Spiegelung in der Marke und die durch sie lancierte Vernetzung mit allen anderen Käufern, die sich als eine community betrachten oder wähnen – ein Hybrid aus private value und social value.
Wir können die Märkte nicht von der gesellschaftlichen Kommunikation abgekoppelt betrachten, wie es die Ökonomie gewöhnlich tut.
Vordergründig reden wir natürlich von einer investorischen Kalkulation, die auf einen return on investment zielt, aber zugleich auf einer gänzlich anderen Basis beruht: die Gesellschaft von etwas zu überzeugen, was ihr so bekommt, dass sie es kauft. Sie beruht auf einer economics of persuasion. Der Kauf, die Transaktion, ist in dieser ökonomischen Rhetorik die verbindlichste Form der Überzeugung: kein bloßes Versprechen, überzeugt zu sein, sondern die tatsächliche Zusage, die sich allerdings ökonomisch erst bewährt, wenn nachgekauft wird. Der Investor realisiert nicht schlicht eine Möglichkeit, wie es im ökonomischen Kalkül gedacht wird, sondern er kreiert Bedürfnisse, die die Nachfrager bis dato weder hatten noch kannten, die aber in dem Moment, in dem das Angebot auf dem Markt erscheint, eine solche Evidenz haben, als ob man immer schon danach begehrte. Natürlich hilft dabei entscheidend eine Form der Kommunikation, die die ausgeprägteste Rhetorik in den Märkten darstellt: die Werbung. Aber sie ist nicht die einzige Kommunikation, die die Bedeutung beziehungsweise die soziale Relevanz festlegt, die sich erst hernach in Nachfrage äußert. In den Netzwerken der Gesellschaft werden die Dinge erörtert: in den Familien, den Bekanntschaften, den Freundeskreisen, in den Vereinen, Kollegenschaften, Szenen etc. Werbung ist keine Information, die blind wirksam wird, sondern erst, wenn sie in den Netzwerken positiv rückgekoppelt wird. Sie initiiert nur die Resonanz, auf die es schließlich ankommt, um Transaktionen zu erwirken. Dass die Werbung Geschichten erzählt, zählt erst, wenn sie gesellschaftliche bzw. Netzwerkresonanz erfahren. Erst wenn die Gesellschaft – und nicht das Unternehmen bzw. seine Werbung – diese Produkt-Stories nacherzählt, werden sie marktträchtig (ein mimetisches Resonanz-Moment). Wir können die Märkte nicht von der gesellschaftlichen Kommunikation abgekoppelt betrachten, wie es die Ökonomie gewöhnlich tut. Und der Preis ist dann nur ein Argument (unter anderen).
Der Investor realisiert seine Idee, mit aller Macht, hoher Energie und Motivation, indem er in den mental state der potentiellen Nachfrager eingreift: Er verändert ihren Horizont, ihre Präferenzen, ihre Begehrlichkeiten. Er überzeugt sie, die Welt in einem (kleinen) Maße anders zu sehen als zuvor. Das Wissen, das er in seiner Idee entfaltet, ist kein Wissen darüber, was die Menschen wollen, sondern ein – rhetorisches – Wissen, sie überzeugen zu können, das heißt sie wissen zu lassen, was sie dann meinen, tatsächlich zu wissen (und zu wollen). Wir haben es mit einer Form der Rhetorik zu tun, die klassisch in die Politik gehört. Es ist, rhetorisch, ein Machtspiel (Überzeugung der Mehrheit, im Wettbewerb mit anderen). Die Zukunft, die der Investition den Profit bringen soll, ist kein Warten auf den Ereigniseintritt, sondern die Kreation dieses Ereignisses durch die Erzeugung von Erwartbarkeit, das heißt ein Versprechen den potentiellen Kunden gegenüber (economics of promise). Der Investor oder Innovator produziert Erwartungen, die sich in seinen Produkten möglicherweise erfüllen.
Deshalb ist die ökonomische Beschreibung misslungen, den Investor selber als den Ereigniserwartenden zu beschreiben. Er macht das Ereignis. Dass er darin scheitern kann, gehört genauso zum Spiel wie der Gewinn. Es geht hier aber nicht um Wetten und Chancen (wie in den Finanzmärkten), sondern um energisches Handeln, eine Form expressiver Rationalität, die ein neues Wissen durch die Kohärenz der Rhetorik des Produktes mit den gebildeten Erwartungen der Rezipienten/ Kunden generiert. Erst wenn die anderen kaufen und der Gewinn sich realisiert, weiß man, was geschah. Vorher war es „politische“ (kommunikativ-öffentliche) Rhetorik, das heißt „niederringende Rede“ (Protagoras) im Wettbewerb mit anderen Anbietern, um bei der antiken Metapher anzuknüpfen.
Der Investor glaubt nicht an das System, sondern stört es, bricht in seine Mechanismen ein, indem er den mental state ändert: den belief der Akteure der Märkte.
Das Nichtwissen, in das hinein er seine Ideen wagt, ist kein opakes Gelände, das auszuleuchten oder aufzuklären sei, bevor man Entscheidungen fällt. Der ökonomische Prozess läuft anders: Es ist, als ökonomisches Tun, eine politische Rhetorik des change of belief, was relevant sei an Alternativen, die die Nachfrager ständig auszuwählen haben, weil die hypermodernen Märkte eine mannigfaltige und dynamische Angebotsdifferenzierung bieten. Es geht den Investoren nicht darum zu wissen, was die Leute wollen (das kann niemand wissen, weil vor allem die Leute selber nicht wissen, was sie wollen und wollen können), sondern um pragmatische Variationen des Angebotes, gepaart mit einer überzeugenden Rhetorik, die nicht nur auf Werbung beruht, sondern auf der Evidenz der Produkte selber. Die Firma Apple beispielsweise schaffte es, ihren iPod oder ihr Tablet (iPad), das andere vorher schon längst anboten, in eine Lifestyle-Ästhetik zu packen, die mehr war als nur ein brauchbares Gerät. Dies wiederum erzeugte das überzeugende Momentum. Der Investor ist, wie der potentielle Kunde, ein animal poeta, und die Ökonomie eine economics of persuasion.
Birger P. Priddat hat den Lehrstuhl für Politische Ökonomie an der Universität Witten/Herdecke inne. Auf Einladung des Exzellenzclusters forschte er im akademische Jahr 2011/2012 am Kulturwissenschaftlichen Kolleg Konstanz. Sein Projekt „Nichtwissensökonomie. Ökonomie unter Bedingungen von Wissen, Vermutungen und Nichtwissen“ war Teil des thematischen Schwerpunkts „Nichtwissen“.
Themen Thesen Texte
Dieser Beitrag erschien zuerst im Clustermagazin „Themen Thesen Texte“ 2/2013.
Das Heft erhalten Sie kostenlos bei claudia.voigtmann[at]uni-konstanz.de (solange der Vorrat reicht).
Inhalt
Wissen und Nichtwissen der Investoren. Eine Skizze zu einer Economics of Persuasion
Birger P. Priddat
Prekäre Ökonomien: Überschuldung, ausbleibende Zinszahlungen, verwahrloste Häuser
Gabriela Signori
Atmosphärische Erzähltiefe. Zur kultursoziologischen Relevanz der Wiederaufwertung von urbanen Ruinen
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