Universität KonstanzExzellenzcluster: Kulturelle Grundlagen von Integration

Nichtwissensökonomie

Ökonomie unter Bedingungen von Wissen, Vermutungen und Nichtwissen

Prof. Dr. Birger P. Priddat

Abstract

Wissen/Nichtwissen ist ein epistemisches Thema, das in der Ökonomie informations-, signal- und wissenstheoretisch abgehandelt wird: als bounded rationality, imperfect knowledge, als Erwartungsunsicherheit etc. Die begrifflichen Fundamente sind heterogen, oft ad hoc definiert. Da man sich darauf konzentriert, wissens- und informationale Grundlagen für Entscheidungen zu verwenden, wird die Nichtwissensdimension nur schwach thematisiert. Zwar steht die Unterscheidung zwischen Unsicherheit und Ungewissheit seit Frank Knight zur Verfügung, aber Fragen der Ungewissheit/Nichtwissen und der Unentscheidbarkeit bleiben analytisch weitgehend offen.

Angesichts der empirischen Ergebnisse der psychologischen Ökonomik und der Verhaltensökonomik aber rücken Ambivalenz-, ignorance- und Ungewissheitsprobleme stärker in den Fokus der Entscheidungsforschung: das epistemologische Konstrukt der rational choice steht in Frage, damit die grundlegenden Verhaltensannahmen der Ökonomik. Man beginnt, über mentale Modelle, belief-structures, Kontexte und Situationalität (darin Themen der Interpretation von Situationen, framing und hermeneutische Fragen) nachzudenken, auch über Themen wie kommunikative Bedeutungszuschreibungen, Identität der Akteure, Kooperativität etc. Angesichts der Finanzkrisen seit 2007 wird die Einschätzungs- und Prognosefähigkeit der Ökonomie neu beleuchtet: Finanzinvestitionen operieren ständig mit Zukunftseinschätzungen im Nichtwissensraum, in den sie subjektive Erwartungskonstrukte legen, und parallel Absicherungen (hedging), die das Risiko, das sie mindern sollen, riskanter machen.

Die Wissen/Nichtwissen-Ambivalenz wird zum Forschungsthema, das die Ökonomie mit ihrer gängigen Epistemologie nicht mehr zuverlässig behandeln kann. Philosophische, soziologische, ethnologische und kulturwissenschaftliche Einschätzungen liefern Beobachtungen, die für die Ökonomie Bedeutung gewinnen. Die Forschung wird notwendig transdisziplinär, weil der Umgang mit Wissen im Entscheidungskontext sich als komplexer herausgestellt hat, als die Ökonomie bisher meinte sicher zu wissen.

Meine Forschung wird sich zwei gekoppelten Foki widmen:

  1. Entscheidungszeit. Zukunft als Möglichkeitsraum und Nicht-Wissen-Transformation <Arbeitstitel>
    Hier sollen Grundlagen an der Unterscheidung wahrscheinlich / möglich neu strukturiert werden, vor allem in der Analyse ökonomischer Kommunikation der Bedeutungsbildung als epistemische Prozesse. Die Fixierung von Möglichkeiten im Nichtwissensraum ist kein rein individuelles Geschehen.
    Zur Strukturierung der Wissen/Nichtwissen-Ambiguitäten dient eine entscheidungstheoretische Konzeption der Zeitmodalisierung. Zukunfts- (wie auch Vergangenheits-) Ereignisse werden in der Gegenwart interpretiert, um Entscheidungen zu realisieren. Die darin notwendig mitlaufende Prognostik ist weniger eine Frage der kognitiven Kompetenzen als der kommunikativen (Netzwerk-) Einbettungen, die semantische/semiotische Felder generieren, in denen etwas bislang nur ‚Mögliches’ so präpariert/inszeniert wird, dass es zum Entscheidungsobjekt werden kann. Erst dann bestätigt der Markt die Realität des vordem ‚nur Möglichen’ durch seine wechselseitige Transaktionalität. Indem alle das kaufen, dessen Geltung sie vorher gemeinsam annehmen, wird etwas Mögliches wirklich. Wir gewinnen einen neuen Marktbegriff, in dem individuelles Nichtwissen und kollaboratives Wissen transformiert erscheint.
  2. Mögliches Wissen. Epistemische Änderungen der Wissensgesellschaft, am Beispiel moderner Konsumtheorie <Arbeitstitel>
    Diese Forschung ist eine Explikation von 1) an einem spezifischen Bereich der Markthandlungen: am Konsum. Konsum erweist sich als ein kulturell-kommunikativer Prozess der Transaktionsfeldformation, in der Nichtwissen transformiert wird in soziale Anschlusswahrscheinlichkeit. Immer dort, wo neue Produkte auftreten, wird das Nichtwissen zu einem aufmerksamkeitsheischenden Anreiz, in dem die Preise weniger eine Rolle spielen als im konventionellen epistemischen Raum der Produktgewohnheiten. Über eine Rekonzeptionalisierung von Kommunikationskulturtheorien verstehen wir die Preisbildung auf Konsummärkten als einen gesellschaftlichen Prozess: eine erweiterte Ökonomie des Märkte. Das, was dazu gewusst werden muss, ist weniger die Produktqualität und ihre preisliche Konfiguration, als vielmehr ihre soziale Valenz. Wichtiger als die ökonomische Marktkompetenz ist die Beobachtung des Verhaltens anderer: soziales Wissen versus ökonomisches Nichtwissen.

Publikation

Cover

Birger P. Priddat: Economics of persuasion. Ökonomie zwischen Markt, Kommunikation und Überredung. Weimar (Lahn): Metropolis, 2014.