Universität KonstanzExzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“

Shakespeares Comeback in Serie

Von Christina Wald

„No cause for alarm. Simply our old work coming back to haunt us.“

Android
Die Androiden in Westworld erscheinen noch menschenähnlicher als der hier abgebildete.

In der aktuellen amerikanischen Fernsehserie Westworld wird Urlaubern ein ganz besonderes Erlebnis geboten: Ein mit menschenähnlichen Robotern bevölkerter Vergnügungspark macht den Wilden Westen für Besucher hautnah erlebbar. Bereits in der ersten Folge weicht allerdings einer der Androiden plötzlich von seinem Skript ab. Peter Abernathy ist eigentlich auf die Rolle des liebenden Familienvaters auf seiner Ranch im Wilden Westen programmiert, doch eines schönen Morgens flüstert er seiner Tochter Dolores auf der Veranda verstörende Sätze ins Ohr: „Hell is empty, and all the devils are here.“ Als Abernathy zur Analyse und Reparatur ins Labor gebracht wird, kündigt er in weiteren fremd anmutenden, furchterregenden Sätzen seine erbarmungslose Rache an den Anwesenden an. Das Team wendet sich ratlos an Robert Ford, den Schöpfer der Androiden: „What the hell was that?“ Ford kann sein Team beruhigen: „Shakespeare.“ Der Farmer zitiere Literatur, mit der er in einer früheren Rolle als Professor programmiert gewesen sei, allen voran die Dramen William Shakespeares: „No cause for alarm. Simply our old work coming back to haunt us.“ Mit dieser expliziten Bezugnahme stellt sich die SciFi-WesternSerie in die Tradition des frühneuzeitlichen Dramatikers, und zwar durchaus auf selbst-ironische Weise, heißt die erste Episode doch „The Original“.

Mein Projekt „Shakespeare’s Serial Returns” untersucht diese Rückkehr Shakespeares in Westworld und anderen aktuellen Fernsehserien, die dem Phänomen des complex TV oder quality TV zuzurechnen sind. Was hat es mit dieser heimsuchenden Qualität des alten Werkes auf sich? Welche unerwarteten Shakespeare'schen Erinnerungsspuren schreiben sich mit welchem Effekt in die Serien ein? Und wie verändert sich unser Blick auf Shakespeare durch diese Umschreibungen?

Mich interessieren dabei insbesondere die vielfältigen Bezüge zwischen Shakespeares wohl letztem Drama, der Romanze The Tempest und Westworld, seiner Römertragödie Coriolanus und der Serie Homeland, und den Dramen Richard III sowie Macbeth, die in der britischen und amerikanischen Version von House of Cards aufgegriffen werden. Das Projekt untersucht, welche kulturellen Energien des frühneuzeitlichen Stoffes produktiv sind für die aktuelle gesellschaftliche und ästhetische Relevanz der Serien. Es geht dabei auch darum, die kulturellen Übertragungswege von der Bühne der frühen Neuzeit bis zu den aktuellen Fernsehserien zu rekonstruieren. Dabei werden Bühneninszenierungen, Spielfilm- und Fernseh(serien)versionen sowie nicht-dramatische Um- und Neuschreibungen der Shakespeare-Theaterstücke in die Untersuchung einbezogen, die gleichsam eine Brücke zwischen Shakespeares Texten und den Serien von heute bilden. So greift die Serie Westworld nicht nur auf Shakespeares Tempest-Text, sondern auf dessen zahlreiche Aufführungen, Verfilmungen, Neubearbeitungen und Umschreibungen zurück – zum Beispiel Mary Shelleys Frankenstein (1819) und dessen Verfilmungen, Aldous Huxleys Brave New World (1932), den Western Yellow Sky (1948) und den Science-Fiction-Klassiker Forbidden Planet (1956), der wiederum die späteren Tempest-Variationen in der Star Trek-Episode Requiem for Methuselah (1969) und in Blade Runner (1982) geprägt hat.

In umgekehrter Richtung soll die Lektüre auch untersuchen, wie die Themen und Formen der Serien des 21. Jahrhunderts unseren Blick zurück auf Shakespeare verändern. Welche Aspekte der Dramen werden durch diese Linse anders und neu lesbar? Inwiefern lässt sich beispielsweise das derzeit virulente und als postmodern kategorisierte Phänomen der Serialität historisch und gattungs- beziehungsweise medienspezifisch perspektivieren? Welche Einsichten in Shakespeares Dramaturgien erlaubt ein seriell geschulter Blick? 

Umkehren, rückkehren, bekehren: Coriolanus und Homeland

Der Politthriller Homeland des amerikanischen Network Showtime stellt seit 2011 in bisher sieben Staffeln den amerikanischen War on Terror ästhetisch und zeitlich nah am tatsächlichen Geschehen dar und hat eine intensive und kontroverse Debatte in den USA und weit darüber hinaus ausgelöst. In seinen ersten Staffeln kreist Homeland um die fragliche Loyalität eines US-amerikanischen Kriegsheimkehrers aus der Gefangenschaft durch Al-Qaida. Die Rückkehr des Irakkriegs-Veteranen in Homeland gibt Rätsel auf: Ist diese Rückkehr auch eine Heimkehr? Fühlt er sich den USA noch zugehörig oder stimmt, was eine CIA-Agentin vermutet – „He has been turned“? Ist er in der Gefangenschaft zur Gegenseite übergelaufen und will nun die Heimat attackieren? Ist seine Rückkehr also keine Heimkehr, sondern eine Heimsuchung, ein Angriff auf das Homeland durch das Andere, der umso verheerender und unheimlicher ist, weil er heimlich in der Gestalt des Eigenen ausgeführt wird? Für den späteren Verlauf der Handlung wird dann die Frage zentral sein, ob sich der zum Gegner gewordene eigene Soldat ein weiteres Mal umdrehen lässt, ob er also wieder zum Soldaten der USA bekehrt werden kann. Die Spannung steigert sich noch, als sich herausstellt, dass er während seiner Gefangenschaft zum Islam konvertiert ist. Umdrehen, Zurückdrehen, Weiterdrehen, Umkehren, Bekehren, Zurückkehren, wirklich Heimkehren – dieses Spannungsfeld zwischen turn und return beschert der Serie ihre zahlreichen Cliffhanger und Wendepunkte. Sie ist ein der Serienform gemäß in Variationen zurückkehrendes Motiv, d.h. turn / return sind auch ästhetisch zentrale Begriffe. 

Die Aspekte des turning und returning sind auch für die Lektüre der Exposition und der gesamten Handlung der Tragödie Coriolanus zentral, so die Annahme dieses Projekts. Sie zeigen, wie das frühneuzeitliche Drama Denkfiguren und ästhetische Verfahren von Homeland antizipiert oder – aus der historisch umgekehrten Perspektive gesprochen – wie der durch Homeland geschärfte Blick auf Bewegungen des Wendens und der serialisierten Rückkehr zentrale Momente in Coriolanus markiert. Dies betrifft sowohl die Dramaturgie als auch das Narrativ der scheiternden Rückkehr des Kriegsheimkehrers, weil sich auch in der Römertragödie Coriolanus der Titelheld gegen seine römische Heimat wendet und zum Kämpfer für die Gegenseite wird: Als der Kriegsheld nach dem Kampf gegen die Volsker siegreich nach Rom zurückkehrt, soll er als Auszeichnung für seine Heldentaten zum Konsul erhoben werden. Seine Ernennung scheitert jedoch an Coriolanus‘ Stolz und seinem Hass auf die Plebejer, die seine Ernennung mit ihren Stimmen bestätigen müssten. Er wird in einer spektakulären Wendung der Akklamationsszene stattdessen auf fraglicher Grundlage angeklagt, eine Alleinherrschaft anzustreben und die ausbalancierte politische Ordnung der Republik Rom abschaffen zu wollen. Er entgeht der Todesstrafe, wird aber als Verräter verbannt. „Despising/ For you the city, thus I turn my back./ There is a world elsewhere”, verkündet er stolz und wendet sich von der Heimat ab, um sich im Folgenden militärisch gegen sie zu wenden. Er flieht zu seinen einstigen Gegnern, den Volskern, und wird von ihnen aufgenommen, um nun gemeinsam gegen Rom zu kämpfen. Das Drama zeigt im Folgenden, wie die Römer versuchen, ihn zur friedlichen Rückkehr nach Rom zu bewegen. Auch hier sind also Momente des sich Abkehrens, Umkehrens und Heimkehrens zentral. Shakespeare nutzt sie auch zu einer ungewöhnlichen Dramaturgie, indem er den Wendepunkt des Dramas, die scheiternde Wahl zum Konsul, zu einem Plateau ausbaut: Coriolanus wendet sich immer wieder vom Marktplatz ab, um in einem weiteren Versuch, die Plebejer zu gewinnen, zu ihm zurückzukehren, was in seiner Verbannung und schließlich der Rückkehr als Rächer gipfelt.

Die Wiederkehr von den Toten: The Tempest und Westworld

Während im Vergleich von Coriolanus und Homeland also die serialisierte Kriegsheimkehr von zentralem Interesse ist, ist es beim Tempest und bei Westworld die mehrfachen Rückkehren von den Toten. So wie Shakespeares Werk in der Serie wiederaufersteht, erleben auch die Figuren Serien von Toden und Wiedergeburten. Diese Wiedergeburten sind auch im Hinblick auf die geschlechtliche Semantisierung interessant, insofern Mütter sowohl in der Romanze als auch der Serie radikal verdrängt werden. Der Vorläufer des Vergnügungsparks ist in Shakespeares Sturm eine einsame Insel, auf der außer dem Magier Prospero und seiner Tochter Miranda nur Inselgeister und der rebellische Inselbewohner Caliban leben, die Vorläufer der Androide in Westworld. Alle Schiffbrüchigen, die nach dem titelgebenden Sturm über die Insel irren, sind Männer. Miranda hat keinerlei Erinnerungen an ihre Mutter. Prospero blendet sie in seinen Erzählungen aus und betont stattdessen, dass er auf der Bootsreise nach ihrer Verbannung aus Mailand die Tochter metaphorisch wiedergeboren habe – so wie er durch seine Magie Tote wieder auferwecken könne. Prospero agiert aus einer Höhle, deren gebärmutterartige Architektur seine Geburtsmacht zusätzlich versinnbildlicht. Die Figur des das Mütterliche inkorporierenden Vaters ist möglicherweise eine Referenz zum englischen König James I, dem Patron von Shakespeares Theatergruppe King’s Men. James I bezeichnete sich selbst in seiner Schrift Basilikon Doron als „a loving nourish father“, der für sein Commonwealth „their own nourish-milk“ bereitstelle, und sorgte damit für eine Repaternalisierung der politischen Sphäre nach der langen Regentschaft von Elisabeth I, die sich als Virgin Mother inszeniert hatte.

Auch in Westworld sind Mütterfiguren derart marginalisiert und dem Blick entzogen, dass sich in Fan-Foren bereits Diskussionen über diese seltsame Abwesenheit entsponnen haben. Stattdessen zeigt die Serie die parthenogenetische Vaterschaft der Androiden-Konstrukteure, die ihre Kreaturen innerhalb eines mehrstöckigen unterirdischen Kontrollzentrums des Vergnügungsparks, einer weiteren gebärmutterartigen Höhle, erschaffen, zum Leben erwecken und nach jedem Tod reparieren und wiederauferstehen lassen. Auch menschliche Tote werden von diesen väterlichen Technikern durch Androide ersetzt und gleichsam wiedergeboren. Am Ende der ersten Staffel inszeniert Westworld aber, äquivalent zum Anschlagsversuch Calibans, die gewaltsame Rückkehr des verdrängten Mütterlichen: Weibliche Androide, motiviert durch die Tode ihrer Töchter oder Mütter, schließen sich zur Rebellion zusammen, um den ständigen Kreislauf von gewaltsamen Toden und Wiedergeburten in ihrer jeweiligen Missbrauchs-Erzählschleife zu durchbrechen. Der Ausgang dieser Rebellion bleibt am Ende der ersten Staffel offen, aber mit dem Mord an der Prospero-Figur Robert Ford hat die Serie den versöhnlicheren Ton des Romanzenendes radikal transformiert – oder, je nach Lesart, die zahlreichen Störfaktoren freigelegt und ins Zentrum gerückt, die auch Shakespeares vermeintliches Happy End in Frage stellen, so etwa Prosperos Ausblick auf den eigenen Tod. Ikonographisch setzt das Finale mit einer schwach ausgeleuchteten Masse von bewaffneten, ‚untoten‘ Androiden, die wortlos die Menschen einkreisen, jedenfalls das Tempest-Zitat aus der ersten Episode eindrücklich um: „Hell is empty, and all the devils are here.“

Christina Wald

Christina Wald ist Professorin für Englische Literatur und Allgemeine Literaturwissenschaft an der Universität Konstanz. Im akademischen Jahr 2017/18 forscht sie am Kulturwissenschaftlichen Kolleg über „Shakespeare’s Serial Returns“.

Themen Thesen Texte

Cover

Dieser Beitrag erschien zuerst im Clustermagazin „Themen Thesen Texte“ 7/2018.

Das Heft erhalten Sie kostenlos bei claudia.voigtmann[at]uni-konstanz.de (solange der Vorrat reicht) oder als PDF zum Download.

Inhalt

First Ladies
Das weibliche Erbe der Monarchie
Sophie Schönberger

Auf der anderen Seite des Grabens
Albrecht Koschorke

Populismus
Eine vergleichende Erklärung
Philip Manow

Shakespeares Comeback in Serie
Christina Wald

Postheroische Helden?
Konturen einer Zeitdiagnose
Ulrich Bröckling

Europas Frühe Neuzeit
Das Projekt einer Gesellschaftsgeschichte
Rudolf Schlögl

Musikalische Migrationsgeschichten
Erzählen, Inszenieren, Aufführen und Medialisieren
Ulrike Präger

Magie im Mittelalter
Schwindel oder Wissenschaft?
David J. Collins

Wenn der Tod Polizeisache wird
Ein Kurs zur Überbringung von Todesnachrichten
Interview mit Kirsten Mahlke