Risikoperzeptionen und Risikokommunikationsstrategien moderner Protektorate
Abstract
Strategische Außen- und Sicherheitspolitik erfordert, insbesondere seit dem Ende des Kalten Krieges und der Zunahme globaler terroristischer Bedrohungen, die Anerkennung von, sowie den Umgang mit unvollständigen Informationen bezüglich der Akteure, Intentionen und Potentiale internationaler sicherheitspolitscher Gefahren. Hierbei bilden öffentliche Risikoperzeptionen eine wichtige Bedingung für die Legitimation demokratischer Sicherheitspolitiken. Denn nimmt die Öffentlichkeit die Risiken einer politischen Entscheidung, beispielsweise zur Entsendung von Soldaten im Rahmen einer internationalen Friedensmission, als unangemessen hoch oder unkalkulierbar wahr, droht ein Entzug öffentlicher Unterstützung für diese Entscheidung und die Strategiefähigkeit der politischen Akteure wird entscheidend herabgesetzt.
Hierbei bildet das tatsächliche Risiko, welches sich naturgemäß nur ex post erfassen lässt, lediglich einen unter einer Vielzahl von Einflussfaktoren, die sich auf die öffentliche Risikowahrnehmung auswirken. Prognosen über zukünftige Dynamiken von Auslandseinsätzen sind prinzipiell mit einem hohen Maß an Unsicherheit behaftet – insbesondere wenn sie unter den komplexen politischen Rahmenbedingungen moderner Protektorate durchgeführt werden –, wodurch kommunikationsstrategisch geleiteten Interpretationen und sozialen Konstruktionen von Sicherheitsrisiken in gesellschaftlichen Diskursen eine zentrale Rolle zukommt. Öffentliche Risikowahrnehmungen sind somit keineswegs bloße Spiegelbilder tatsächlicher Sicherheitsrisiken, sondern vielmehr Produkte komplexer sozialer und kommunikativer Prozesse. Risikobewusste Sicherheitsstrategien erfordern deshalb nicht nur eine „technische“ Risikobewertung durch die politischen und militärischen Entscheidungsträger, sondern auch die Einbeziehung kulturell bedingter Risikowahrnehmungen im öffentlichen Diskurs.
Bislang sind Strategien der Risikokommunikation und Merkmale nationaler Risikodiskurse fast ausschließlich im Bereich ziviler Gefahren (beispielsweise im Zusammenhang mit dem Einsatz von Gentechnologien und Chemikalien in der Lebensmittelproduktion oder durch zivile Atomkraftnutzung) Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Im Gegensatz hierzu ist im Forschungsbereich der Sicherheitspolitik eine einseitige Fokussierung auf Themen der Krisenkommunikation und des Krisenmanagements festzustellen. Strategische Sicherheitspolitik muss allerdings zwingend vor der Krise (beispielsweise in Form eines Anschlags) in Form einer risikopolitischen Präkaution ansetzen, und nicht erst wenn „das Kind in den Brunnen gefallen“ ist. Das Dissertationsprojekt strebt an, aufbauend sowohl auf Erkenntnissen der zivilen Risikoforschung, als auch auf Arbeiten im Bereich strategischer Sicherheitspolitik sowie im Bereich der demokratischen Legitimationsforschung, Mechanismen öffentlicher Risikowahrnehmung und strategischer Risikokommunikation in unterschiedlichen kulturellen Rahmen (sog. frames) zu identifizieren.
Das Dissertationsprojekt soll öffentliche Diskurse über Sicherheitsrisiken der militärischen Beteiligung an modernen Protektoraten in mehreren Ländern vergleichend analysieren und dabei im Besonderen die Wirkungsweisen von Risikokommunikationsstrategien relevanter Durchführungsorganisationen auf die nationalen Risikodiskurse, sowie die Anpassung dieser Kommunikationsstrategien an die Diskursvoraussetzungen in Betracht ziehen.
Der analytische Rahmen für die Diskursanalyse soll das Konzept nationaler Sicherheitskulturen bilden. Demnach müssen öffentliche Risikoperzeptionen als Teil einer übergeordneten nationalen Sicherheitskultur verstanden werden, die die Legitimation von sicherheitspolitischen Strategien entscheidend determinieren können. Diese expliziten oder impliziten gesellschaftliche Werte, aber auch kulturell verankerte Handlungsgewohnheiten und kollektive historische Erfahrungen bilden demnach den Rahmen, in dem Risikoinformationen wahrgenommen werden. Das Projekt soll am Beispiel des modernen Protektorats in Afghanistan betrachten, inwiefern kulturelle frames in der Risikoperzeption als Bestandteil der jeweiligen nationalen Sicherheitskultur Risikodiskurse beeinflussen. Ziel der Analysen wird sein, die Interdependenzen zwischen Risikokommunikationsstrategien und Risikodiskursen zu beleuchten.