Die Lehre von den vier Säften
Ein neuer Zugang zur Beschreibung der menschlichen Persönlichkeit im 12. Jahrhundert
Abstract
Im 12. Jahrhundert entstanden neue Modi der Beschreibung der menschlichen Persönlichkeit, indem die antike Lehre von den vier Säften des menschlichen Körpers eine entscheidende Modifikation erfuhr: Galten die Säfte bis dahin als Verursacher körperlicher und geistiger Defekte, so schrieb man ihnen nun die Nuancierung bestimmter Charaktermerkmale beim gesunden Menschen zu. Diese Innovation hatte erhebliche Folgen für das Menschenbild insofern das einem Individuum eigentümliche Handeln nicht mehr ausschließlich auf dessen soziale Rolle oder moralische Wertigkeit zurückgeführt wurde, sondern mit seinen persönlichen, von den Säften bedingten Verhaltensdispositionen erklärt und beschrieben werden konnte. Auf dieser Grundlage ließ sich die erste konsistente Persönlichkeitstheorie der westlichen Geistesgeschichte entwickeln.
Dieser Umstand wurde in der bisherigen Forschung nicht hinreichend beachtet. Das vorliegende Forschungsprojekt soll dieses Desiderat erfüllen, indem es die Persönlichkeitstheorie des 12. Jahrhunderts anhand der einschlägigen Quellen rekonstruiert und ihren Ort im zeitgenössischen kulturellen und sozialen Kontext ‒ der sogenannten „Renaissance des 12. Jahrhunderts“ ‒ bestimmt.
Publikation
Harald Derschka: Die Viersäftelehre als Persönlichkeitstheorie. Zur Weiterentwicklung eines antiken Konzepts im 12. Jahrhundert. Ostfildern: Thorbecke 2013