Universität KonstanzExzellenzcluster: Kulturelle Grundlagen von Integration

Precarious Protectorates

UN Peace Operations as successfully failing Ventures

Prof. Dr. Wolfgang Seibel

Abstract

Friedensoperationen unter UN-Mandat beruhen auf impliziten oder expliziten Normen, zu denen sich die internationale Gemeinschaft in Form von allgemein anerkannter Praxis oder förmlichen Beschlüssen der UN-Generalversammlung und des UN-Sicherheitsrats bekannt hat. Seit dem Ende des Kalten Krieges beobachten wir die Entwicklung einer durch traumatische Krisen teils unterbrochenen, teils noch angespornten mehr oder weniger konsistenten Agenda humanitärer Interventionen und eines neuen, von der Generalversammlung der Vereinten Nationen 2005 dem Grundsatz nach anerkannten völkerrechtlichen Prinzips einer Responsibility to Protect (RTP). Gemeint ist damit eine „Schutzverantwortung“ der internationalen Gemeinschaft für die Wiederherstellung der Menschenrechte in Fällen, in denen die dazu ursprünglich berufene staatliche Gewalt zerfallen ist. Faktische Anwendungsfälle waren oder sind die internationalen Interventionen auf dem Balkan in den 1990er Jahren, in Ost-Timor (1999), Liberia (2003) und im Prinzip auch die geplante Mission in der westsudanesischen Provinz Darfur.

Seit der Ingangsetzung des politischen und wissenschaftlichen Diskurses über humanitäre Interventionen in den 1990er Jahren haben sich allerdings zum einen die geopolitischen Kräfteverhältnisse, unter deren Einfluss der UN-Sicherheitsrat steht, und zum anderen die Legitimationsbedingungen internationaler Interventionen erheblich verändert. Mit Russland und China sind zwei vetoberechtigte Mitglieder des Sicherheitsrats zu global agierenden Großmächten aufgestiegen bzw. wieder aufgestiegen, die als autoritäre Regime dem Schutz der Menschenrechte und damit der offiziellen Agenda der Vereinten Nationen nicht oder lediglich in Form von Lippenbekenntnissen verpflichtet sind.

Mit der Intervention der USA und einiger Verbündeter im Irak 2003 und dem nachfolgenden Desaster, welches das Land an den Rand eines Bürgerkrieges und im Übrigen selbst zu einer Reihe von spektakulären Menschenrechtsverletzungen geführt hat, ist die Bereitschaft zur Unterstützung von Interventionen, auch wenn sie unter UN-Mandat erfolgen, in den westlichen Demokratien deutlich gesunken.

Die Untersuchungen, die in die geplante Monographie münden sollen, widmen sich der Frage, welche Konsequenzen das damit eintretende Legitimationsdilemma hat. Einerseits stehen Regierungen in den westlichen Demokratien unter Druck, massiven Menschenrechtsverletzungen und Massenverbrechen ein Ende zu setzen, wobei das international anerkannte Prinzip der „Schutzverantwortung“ der Vereinten Nationen unterstützend wirkt. Andererseits laufen Regierungen, die diesem Druck nachgeben und sich in internationalen Interventionen engagieren – insbesondere wenn sie sich militärisch engagieren – Gefahr, die Unterstützung der Bevölkerung schnell zu verlieren, spätestens dann, wenn die Interventionen Menschenleben kosten und die Lösung der zugrunde liegenden Konflikte und die Beendigung der Intervention im Ungewissen bleiben.

Meine Überlegungen gehen von der Annahme aus, dass dieses Legitimationsdilemma verschiedene Techniken des Political Coping freisetzt, deren Analyse sich die geplante Monographie widmen wird. Überprüft werden soll insbesondere die doppelte Hypothese, dass die legitimatorischen Dissonanzen einerseits durch gewolltes Scheitern von Friedensoperationen, andererseits durch gewolltes Unwissen über dieses Scheitern bewältigt werden. Diese Annahmen werden durch empirische Evidenz in gewissem Ausmaß gestützt. Diese Stützung und die Präzisierung der theoretischen Annahmen soll mit Hilfe einer Serie von Fallstudien erweitert werden, die ich in Zusammenarbeit mit Peter Schumann durchführen möchte.