Die Sprache der Vernunft im aufklärungsfernen Raum
Abstract
Das Vorhaben stellt die Frage nach der Desintegration der einst hegemonialen Semantik des Katholizismus und Durchsetzung der Aufklärung als neuer hegemonialer Denkformation, die uns berechtigt, darin das Gründungsgeschehen der Moderne und ihrer sich selbst generierenden Wissensgesellschaft zu sehen.
Erinnerungsgeschichtlich ist dieser epochale Sieg natürlich keine Frage. In der Ideen- und Literaturgeschichte des 18. Jahrhunderts haben die Texte der Aufklärung als die Texte der Sieger Vorrang. Die Epochenmetaphorik leistet mit ihrer Trennung zwischen Licht und Schatten hierzu kräftig Beihilfe. Bei näherer Betrachtung tauschen indes irritierende Fragen auf. Zum einen zeichnet die französische Religionsgeschichte des 18. Jahrhundert mittlerweile ein sehr viel differenzierteres Bild von den mentalitätsgeschichtlichen Verhältnissen. Zum anderen scheint der semantische Sieg der Aufklärung in gewisser Hinsicht eine self-fulfilling prophecy der den entsprechenden Forschungen zugrunde liegenden Textcorpora.
Zu dieser neuen kritischen Sicht passt es, dass in jüngster Zeit verstärkt Erscheinungen und intellektuelle Milieus in den Blick rücken, die die Wirksamkeit anderer Denkweisen rekonstruieren. In Deutschland hat sich jüngst vor allem das Hallenser Aufklärungszentrum mit seinem Esoterikprojekt entsprechender Fragestellungen angenommen.
Diese Forschungen stellen für mein Vorhaben wichtige Voraussetzungen dar, gehen indes in eine andere Richtung. Es geht mir nicht um die Rekonstruktion eines Anderen der Vernunft, sondern im Gegenteil um den Prozess der Eroberung des Anderen durch die Sprache der Vernunft. In der Wissenschaftsgeschichte selbst scheint sich die Eindeutigkeit des Sieges der Vernunft zu verunklaren, wenn der Blick sich erst einmal von den Grundlagenwerken der frühen Weltbild(re)konstrukteure in die Grauzonen der naturgeschichtlichen und physikalischen Spekulation der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wendet.
Meinem Projekt geht es nun nicht um die Persistenz oder um das Wiederaufkommen von Denkweisen und Wissensformationen, die geeignet sind, Zweifel zumindest an der Vollständigkeit des Sieges der neuen Denkweise und des neuen Weltbilds der Aufklärung aufkommen zu lassen. Vielmehr geht es um die Frage, inwieweit die Aufklärung als ein neue Art des Denkens und Argumentierens in die Argumentationskultur aufklärungsferner Milieus und Textgattungen eingedrungen ist und diese, gleichsam ohne dass die Gretchenfrage der Weltbildkonsistenz immer gleich gestellt werden musste, verändert hat. Im Hintergrund steht dabei die Frage nach den Wegen der Halbierung der Moderne, die im 19. Jahrhundert in den konfessionellen, aber immer auch wieder in wissenschaftlichen Milieus zu beobachten ist.