Universität KonstanzExzellenzcluster: Kulturelle Grundlagen von Integration

Volkskomödie im 19. Jahrhundert

Saskia Haag

Abstract

Im Rahmen des Projekts „Gesetze der Gattung“ (Prof. Matala de Mazza) geht dieses Teilprojekt der Frage nach der „regelwidrigen Regelhaftigkeit’“ populärer Formen anhand des Beispiels der Volkskomödie nach.

Nachdem die „einfachen Formen“ des Märchens und Spruchs bereits im 18. Jahrhundert große Beliebtheit erlangt hatten, entwickeln sich im 19. Jahrhundert mit dem Aufkommen der modernen Massenkultur und den technischen Produktionsmedien neue und andersartige Formen des Populären. Zu ihnen gehört die Volkskomödie, in der die traditionellen Bestimmungen des komischen Theaters im Kontext einer urbanen Unterhaltungsindustrie neu adaptiert werden. Wenn in der vorgeschlagenen Studie im Besonderen das Volkstheater in Hinblick auf seine gattungspoetischen Formations- und Reproduktionsmomente untersucht werden soll, dann erscheint dies aus folgenden Gründen sinnvoll: Die Komödie spielt schon in der Aristotelischen Poetik eine inferiore Rolle – nicht umsonst ist das betreffende Buch verloren gegangen – ; sie unterliegt seit jeher nicht derselben strikten genealogischen Kontrolle wie die Tragödie, die an den antiken Maßstäben noch im 19. Jahrhundert gemessen wird. Das wirft die Frage auf, wie eine Gattung zur Institution wird, die eine explizite Reglementierung ihrer einzelnen Formen vermissen lässt. Die Studie verfolgt die These, dass es gerade das beachtliche integrative Potenzial der Volkskomödie ist, das ihre Reproduktionsfähigkeit gewährleistet und ihr durch die dauernde Anverwandlung neuer Stoffe, Formelemente und anderer Medien zum festen Platz in einer strukturell gewandelten, vom „Volk“ der Märchensammler grundlegend verschiedenen Öffentlichkeit verhilft. Sind die generativen Momente dieser Gattung nicht in ihren Einschränkungsmechanismen, sondern vielmehr in einer Art Integrationswissen zu suchen, dann hat das Projekt all jene Stellen in Augenschein zu nehmen, an denen die Volkskomödie den Eintritt neuen Materials ermöglicht. Formen wie das Couplet, das Quodlibet oder das Extempore sind auf ihre Funktion für die Reproduktion einer Gattung hin zu befragen, die genealogische Regeln gerade nicht befolgt.