Universität KonstanzExzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“

Jüdische Friedhöfe im mittelalterlichen Reich

Gestalt und Bedeutung ihres Raumes (11.-16. Jh.)

Susanne Härtel

Abstract

In meinem Dissertationsprojekt untersuche ich jüdische Friedhöfe im mittelalterlichen Reich als Orte möglicher Verwurzelung und erfasse ihre Bedeutung für das jüdische Sozialgefüge und somit eine jüdische Raumkonstitution. Inwieweit haben die Begräbnisstätten der Ahnen als greifbare Fixpunkte – die Totenruhe gilt nach jüdischer Auffassung als unantastbar – eine Kohäsion der Gemeinden befördert und gar die Empfindung örtlicher Zugehörigkeit vermittelt? Als wie zentral oder marginal ist die Stellung des Friedhofes innerhalb jüdischer Sozialbeziehungen zu bewerten? Worin besteht also die gemeinschaftsstiftende Wirkung des Friedhofsraumes?

Im Anschluss an Ansätze des sog. spatial turn wird Raum als soziale Konstruktion gedacht. Grundlegend hierfür ist die begriffliche Unterscheidung zwischen Ort und Raum: Handelt es sich bei Orten um eindeutig definierbare Stellen und Plätze der Erdoberfläche (z. B. den Friedhof oder die Judengasse mit Synagoge), werden Räume durch Verbindung und Bewegung der Menschen zwischen diesen und anderen Orten geschaffen. Die Erfassung von Räumen basiert also stets auf der Analyse sozialer Beziehungen. Um Gestalt und Bedeutung des jüdischen Friedhofs zu verstehen, sollen diejenigen Relationen berücksichtigt werden, die sich am Ort der Gräber manifestieren: Einzubeziehen sind innerjüdische Relationen ebenso wie jene zwischen Juden und Christen, Relationen unmittelbarer Natur ebenso wie solche vermittelt über materielle und ideelle Objektivationen.

Die Überlieferungslage erlaubt es nicht, die Untersuchung auf einen Ort zu konzentrieren. Die problemorientierte Analyse muss sich an geographisch verstreuten Überlieferungsnestern aus verschiedenen Städten des Reichs orientieren und die Zeugnisse unterschiedlicher Gattungen für ihre Fragen fruchtbar machen. Insgesamt dominiert die lateinische Überlieferung der christlichen Umwelt: Vor allem Urkunden und städtischem Verwaltungsschrifttum, mitunter der Historiographie sind Informationen hinsichtlich der Stellung des jüdischen Begräbnisplatzes zu entnehmen. Wesentliche Ergänzung liefern hebräische Quellen und somit die jüdische Eigenüberlieferung. Hier sind zwei Quellengruppen hervorzuheben: Grabsteine und ihre Inschriften, materielle Zeugnisse des Friedhofes, sowie rabbinische Rechtsgutachten, sheelot u-teshuvot bzw. sog. Responsen, in denen vielfältige Problemaspekte im Umgang mit der Begräbnisstätte traktiert werden.