Universität KonstanzExzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“

Körper unter Beobachtung. Eine Medien- und Wissensgeschichte der Wallfahrt im 18. Jahrhundert

Eva Brugger

Abstract

Klassischerweise wird der Schriftlichkeit und Schrift auf protestantischer Seite die Körperbezogenheit als Indiz altgläubiger Frömmigkeit gegenübergestellt. Mit den Wallfahrten jedoch – so die These – setzt die katholisch-barocke Frömmigkeit der Schriftgebundenheit des Protestantismus die Verschränkung von Körper und Schrift entgegen. Insbesondere die (ober)bayerische Wallfahrt des 18. Jahrhunderts, in deren Zentrum der (katholische) Körper als Ereignis, das über die Konfessionsgrenzen hinaus auch außerreligiös rezipiert wird, steht, zeigt, dass die medienspezifische Fokussierung des konfessionellen Gegensatzes von Körper und Schrift in Frage gestellt werden muss.

Obwohl sich die Praxis barocker Wallfahrten an alte Traditionen anlehnt, kann in Bezug auf das 18. Jahrhundert nicht einfach von einer Wiederbelebung der Wallfahrten oder einer Konjunktur im Sinne einer Intensivierung tradierter Rituale gesprochen werden. In einer Phase der konfessionellen und politischen Konflikthegung blühen katholische Frömmigkeitspraktiken auf. Zunächst unterstützt und gefördert von weltlichen und kirchlichen Oberen, später meist auf Ebene der Volksfrömmigkeit, entstehen ab dem 17. Jahrhundert neue Wallfahrtsorte. Wie sehr sich diese Verschiebungen auf ein verändertes Verhältnis von Körper und Schrift auswirken, zeigt das Genre der wallfahrtsbegleitenden Literatur. Katholische Selbstbeschreibungen wie Mirakel- und Gnadenbücher bringen im Medium der Schrift Körper hervor und verorten diese lokal am Wallfahrtsort.

Als außeralltäglich grenzen sich die Wallfahrten, das zeigen Wallfahrtsanleitungen und -berichte, schon durch ihren Zeit- und Organisationsaufwand von anderen Frömmigkeitspraktiken ab. Sie beinhalten und vereinen aber gleichzeitig auch alltägliche Techniken des Gesprächs mit Gott wie das Gebet und den Rosenkranz. Mittels einer Wallfahrt wird eine erhörte Bitte durch mnemotechnische und nachahmende Körpertechniken (Mauss 1950/1989), die zumeist einen oralen oder taktilen Kontakt implizieren, sichtbar.

Mit einem Perspektivwechsel auf zeitgenössische Reiseberichte, Briefe und Predigten werden die Körpertechniken sakraler Kommunikation im Spannungsfeld zeitgenössischer Fremd- und Selbstbeschreibung nachvollzogen. Im Medium der Schrift richten die Autoren ihren Blick auf die Körper der Altgläubigen. Die Texte beobachten Körperhaltungen, Gnadenbilder, Übertragungstechniken und die Masse der Gläubigen. Im Sprechen über Religion bzw. (Aber)Glauben beschreiben sie eine sakrale Kommunikation, die ausschließlich in am Körper exerzierten Frömmigkeitspraktiken sichtbar zu werden scheint. Die Reiseberichte betrachten (katholische) Körperlichkeit mit ethnographischer Distanz und verorten Schriftlichkeit ausschließlich auf der eigenen Seite.

Verfahren katholischer Frömmigkeit wie die Wallfahrt stellen ihrerseits bestimmte Orte (und das können auch Texte sein) bereit, an denen der Gläubige physische Präsenz gewinnen und bezeugen kann. Durch bestimmte Kulturtechniken des Zurechtrückens, wie dem Knien, wird die Kommunikation mit dem Transzendenten am Körper sichtbar. Das Sichtbarwerden belegt zugleich deren Gelingen. Da die Last des Nachweises an den gläubigen Körper gebunden ist, wird allerdings auch die Dokumentation der göttlichen Gnade zum Problem.

Die katholische Kirche löst dieses Problem mit Techniken der Archivierung, die die mitgeteilte Evidenz und Präsenz sichern sollen. Mittels Zeugenaussagen, Mirakelbüchern, Votivtafeln und -gaben werden Zeugnisse des unmittelbaren Ausdrucks der göttlichen Gnade am Körper gesammelt und gehen in die Archive ein. Die Mirakel- und Gnadenbücher stellen die Figurenkörper, aber auch die Körper der Wallfahrer, Betende, Kranke und Geheilte im Textkörper nach, schließen sie in diesen ein. Dafür bedient sich die katholische Kirche des Mediums ihrer Kritiker – der Schrift. Nur unter der Voraussetzung dieser scheinbar paradoxen Verschränkung von göttlicher Präsenz und ihrer permanenten Archivierung ist es möglich, über den Körper zu sprechen und die Konstanz seiner Präsenz zu sichern.

Die medienwissenschaftliche Fragestellung der Dissertation wird schließlich um die Frage nach den Funktion(en) barocker Frömmigkeit in zeitgenössischen Wissensdiskursen erweitert. Gefragt wird hierfür einerseits nach der Verwissenschaftlichung des Körpers im Spannungsfeld zwischen katholischer Aufklärung und barocker Frömmigkeit in Bayern. Ergänzt wird der Untersuchungsgegenstand – den Rahmen der Arbeit öffnend – andererseits um die Frage nach der Anthropologisierung sakraler Frömmigkeitspraktiken im Fetischismusdiskurs des 18. Jahrhunderts, die den europäischen Blick auf außereuropäische Kulturen integriert.

Publikation

Cover

Eva Brugger: Gedruckte Gnade. Die Dynamisierung der Wallfahrt in Bayern (1650–1800). Affalterbach: Didymos 2017 (Kulturgeschichten, 4).