Universität KonstanzExzellenzcluster: Kulturelle Grundlagen von Integration

Konfigurationen der Zeit in spätmittelalterlicher Offenbarungsliteratur

Daniela Fuhrmann

Abstract

Spätmittelalterliche Offenbarungen aus dem deutschsprachigen Raum, wie zum Beispiel diejenigen Margareta Ebners (vor 1351), Christine Ebners (vor 1356) oder Adelheid Langmanns (vor 1357) zeichnen sich durch eine Verschränkung unterschiedlichster Konfigurationen von Zeit aus, welche als wesentliches Element ihrer Funktionslogik begriffen wird und im Zentrum der Untersuchung steht. So kombinieren die Werke etwa die lineare Zeitform der Biographie mit der primär zyklischen des Kirchenjahres, indem sie den in der Regel mit dem Tod abschließenden Lebenslauf einer Ordensschwester präsentieren, der – und mit ihm der gesamte Text – seine Struktur durch liturgische Fest- und Feiertage erhält. Des Weiteren sind dem Lebensbericht zu präzise terminierten Zeitpunkten fortwährend der Zeit scheinbar enthobene Momente geistiger Schau eingefügt, die häufig biblische Vergangenheit adaptieren oder ewige Freuden antizipieren. Ferner machen die Texte auf komplexe Art Gebrauch von dem im Akt der Lektüre angelegten Effekt der Aktualisierung von Vergangenem: In ihnen gewinnt nicht nur das berichtete Leben der Schwester erneute Gegenwärtigkeit, sondern es erfahren auch die oftmals in deren geistige Schau eingeflossenen heilsgeschichtlichen Ereignisse eine Aktualisierung. Die verschiedenen Konfigurationen von Zeit wirken demnach vielfältig ineinander und prägen in diesem Zusammenspiel die Texte, so dass ihre detaillierte Analyse Einsicht in die Poetologie der Offenbarungen geben und darüber hinaus einen Beitrag zur Funktionsbestimmung von Zeit in erzählenden Texten des Spätmittelalters leisten kann.