Universität KonstanzExzellenzcluster: Kulturelle Grundlagen von Integration

Junge Bürokratien zwischen internationaler Normierung und lokaler Legitimation

Die Etablierung von Rule-of-Law-Standards in Post-Conflict-Ländern

Daniel Kirchner

Abstract

Seit den 1990er Jahren ist weltweit eine wachsende Zahl von Staaten mit schwacher oder zerfallender Staatlichkeit zu beobachten. Diese Fälle sind nicht auf einen bestimmten Kulturraum, eine geographische Region oder einen bestimmten Kontinent begrenzt. Weitestgehend ausgenommen sind davon die westlichen Industrieländer, am stärksten betroffen sind die Entwicklungsländer. Die konkreten Ursachen für den Zerfall von staatlichen Strukturen sind unterschiedlich: Sie reichen von wirtschaftlichem Kollaps über gesellschaftliche Armut und Naturkatastrophen bis hin zu inter- und intrastaatlichen Konflikten. Oft sind sie gar eine komplexe Kombination dieser Prozesse und in den meisten Fällen sind gewalttätige Konflikte die Folge dieser Entwicklungen. Eine entscheidende Gemeinsamkeit besteht im Resultat: ab einem bestimmten Niveau zerfallender Staatlichkeit ist es den betroffenen Ländern nicht mehr möglich aus eigener Kraft ihre Funktionalität wieder herzustellen, ihre Verwaltungsstrukturen wieder aufzubauen oder zu reformieren. In diesen Fällen treten externe Akteure in die Rolle der Katalysatoren für eine positive wirtschaftliche und politische Entwicklung des betroffenen Landes.

Die externen Akteure können multilateraler, überregionaler Art, wie die Vereinten Nationen (UN), regionaler Art, wie die Europäische Union (EU) und bilateraler Art, in Form eines be-stimmten Partnerlandes, sein. Die Maßnahmen, die diese Akteure in Zusammenarbeit mit den betroffenen Ländern durchführen müssen, um langfristig stabile Verwaltungsstrukturen und Staatlichkeit (wieder) herzustellen beinhalten u.a. entwicklungspolitische Programme, sicherheitspolitische Reformen und in manchen Fällen auch direkte Interventionen und das Errichten von Interimsverwaltungen. Diese Interimsverwaltungen dienen als Grundlage, um entwicklungspolitische Maßnahmen und sicherheitspolitische Reformen durchzuführen: Ohne entsprechende Verwaltungsstrukturen sind weder Demobilisierungs- und Reintegrationsprogramme, noch wirtschaftliche Reformen und die Verteilung von Finanzmitteln, oder Reformen im Verfassungs- und Sicherheitssektorbereich möglich. Damit diese Maßnahmen und Reformen auf lange Sicht erfolgreich, nachhaltig und krisenpräventiv sind, müssen sie von der Bevölkerung akzeptiert werden und eine gewisse Legitimität haben. Ein entsprechend hohes Maß an Akzeptanz und Legitimität in der Bevölkerung ist umso wichtiger, wenn die Interimsverwaltungen als Grundlage oder Vorstufe für umfassende Verfassungsreformen und politische Systeme dienen. Denn die Legitimität der Resultate (Verfassung und staatliches System) wird kaum in der Bevölkerung anerkannt werden, wenn die Institutionen aus denen heraus sie entstanden sind, nicht zuvor schon über eine entsprechende Akzeptanz und Legitimität verfügten.

Eine These innerhalb des Forschungsvorhabens besteht darin, dass als Voraussetzung für Legitimität und Akzeptanz in der Bevölkerung, die neuen Strukturen nicht als fremd und aufgezwungen empfunden werden. Demzufolge wäre es erforderlich, bei der Konzeption der Verwaltungsstrukturen, die spezifischen Eigenheiten der Bevölkerung und des politischen Systems in dem betroffenen Land zu berücksichtigen. Dazu gehören religiöse Traditionen und Bräuche, Rechts- und Verfassungsgeschichte, bisherige politische Ordnungen, gesellschaftliche Hierarchien und kulturelle Eigenheiten, kurz: die kulturellen Grundlagen der betreffenden Gesellschaft. Daraus ergibt sich die zentrale Forschungsfrage: Können, internationale Interimsverwaltungen in Post-Conflict-Ländern nachhaltig krisenpräventiv und positiv für die wirtschaftliche und politische Entwicklung des Landes wirken, wenn sie nicht an die kulturellen Spezifika des entsprechenden Landes angepasst sind?

Überprüft wird diese Frage konkret am Fall der Einführung oder Wiederherstellung rechtsstaatlicher Standards (rule-of-law). Stabile, demokratische Staaten sind ohne ein rechtsstaatliches System, auf dem ihre politischen Systeme und Konfliktregelungsmechanismen beruhen, nicht denkbar. Daher ist die erfolgreiche Etablierung des rule-of-law, eine grundlegende Voraussetzung für entwicklungs- und sicherheitspolitische Maßnahmen, die langfristig krisenpräventiv und stabilisierend wirken.

Die UN haben 2006 begonnen die Rule-of-Law Tools for Post-Conflict States zu entwickeln und ihren Mitarbeitern nahe zu bringen, speziell um es diesen zu erleichtern „sustainable, long-term institutional capacity within United Nations missions and transitional administrati-ons“ (Arbour, Louise: “Foreword”, in: Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights: “Rule-of-Law Tools for Post-Conflict States ‘Vetting: An operational Framework’”, United Nations, New York and Geneva, 2006) zu schaffen.

Die Anwendung und der Erfolg dieser Rule-of-Law Tools und die Bedeutung kultureller Spezifika hierbei werden im Rahmen einer Fussy-Set Qualitative Comparative Analysis (fsQCA) von verschiedenen Post-Conflict Ländern, in denen die UN aktiv sind oder gewesen sind, durchgeführt. Allerdings wird es gegebenenfalls notwendig sein, gewisse methodische Anleihen im Bereich der kulturvergleichenden Sozialforschung zu machen. Als konkrete Fallbeispiele sind Länder aus verschiedenen Regionen angedacht, um eine nicht regional abhängige Erarbeitung von Gesetzmäßigkeiten zu vereinfachen. Denkbar wären u.a. Haiti, Kambodscha, der Kosovo, Osttimor und Sierra Leone.