Universität KonstanzExzellenzcluster: Kulturelle Grundlagen von Integration

Vasaris Viten

Heilsgeschichtlicher Kanon, endzeitliche Konversion und die Geburt der Kunstreligion

Prof. Dr. Gerd Blum

Abstract

Giorgio Vasaris „Lebensbeschreibungen der besten Architekten, Bildhauer und Maler“ (1550/1568) bestimmen die okzidentale Kunstgeschichtsschreibung bis heute. In der älteren Forschung sind Faktentreue und Quellen, in der neueren Forschung die literarische Stilisierung der Einzelviten und die Kunsttheorie Vasaris eingehend untersucht worden. Nicht aber wurden die Viten als jene „große Erzählung“ ab Adam analysiert, als die Vasari und seine Koautoren ihr Buch konzipiert haben.

Vasaris Viten sollen als ein gesamtgeschichtliches Erzählsystem der Kunstgeschichte nach dem Modell der mittelalterlichen Universalchroniken und nach dem Muster theologisch fundierter typologischer Bildprogramme (Sixtinische Kapelle) betrachtet werden. Vasaris Narration, die vom ersten Künstler Bezaleel bis zu Michelangelo reicht, nimmt das Ablaufschema der sechs Epochen der traditionellen christlichen Universalchroniken auf. Gleichzeitig ist die Geschichte der „rinascita“ der Künste als ein providentiell-teleologisches Fortschreiten ante legem – sub lege – sub gratia strukturiert. Vasari integriert Leben und Werk der Künstler-Biographien in ein gesamtgeschichtliches Gebäude und in den typographisch gegliederten Körper eines Buches. Zugleich konzipiert er Kunstgeschichte als fortschreitende Überwindung des jüdischen Bildverbotes. Kunstreligion und Kunstwissenschaft sind zwei Seiten einer Medaille, die 1550 in Florenz geprägt wurde.

Wie wird die neue Kunst in das alte christliche Wertesystem integriert? Sollte Kunst als „Metatechne“ (Williams) die Metaphysik ablösen oder war sie als Abglanz und Analogie der Heilsgeschichte konzipiert?