Universität KonstanzExzellenzcluster: Kulturelle Grundlagen von Integration

Der Muslim als Medium der Kulturalisierung

Das Beispiel Deutsche Islam-Konferenz (2006-2009)

Dr. Levent Tezcan

Abstract

Während meines Aufenthalts im Kolleg will ich mich mit dem Thema Muslim als Medium der Kulturalisierung auf der Analyseebene der Einwanderung befassen. Als Ausgangspunkt dient die Beobachtung, dass sowohl die ethnischen Kategorien als auch die Unterscheidungen des Klassenparadigmas innerhalb eines sichtbar kurzen Zeitraums weitgehend durch die Kategorie des Muslim überwölbt bzw. partiell verdrängt wurden. Mit Muslim als der neuen Unterscheidungskategorie (durchgehend ausgedrückt in der Gegenüberstellung „Muslime vs. Nicht-Muslime“) wird das allgemeine Einwanderermilieu auf der Grundlage von religiöser Identität neu definiert. Mit organisatorisch erkennbaren Ansprechpartnern, zurechenbaren Autoritätsinstanzen, festen Versammlungsplätzen und Gemeinschaftsritualen sowie einer Ethik der Lebensführung der Individuen bietet sich offenbar die Religion für die politische Rationalität als geeignet dafür an, für transparente Verantwortungsstrukturen innerhalb des Einwanderermilieus zu sorgen. Die Führung von Einwandererbevölkerung soll, so die gouvernementale Rationalität, fortan auf die Führung der Seelen zurückgreifen.

Die Analyse des scheinbar paradoxen Phänomens der Kulturalisierung durch Religion möchte ich forschungspraktisch vom konkreten Fall Deutsche Islam Konferenz (DIK) ausgehend entfalten. Die im Jahre 2006 vom Bundesministerium des Inneren ins Leben gerufene Initiative liefert ein aktuelles Exemplar für das Studium des Zusammenhangs zwischen Kulturalisierung und Subjektivierung, wobei die Kulturalisierung weitaus mehr ist als ein unbeabsichtigter Überschuss von generalisierenden Zuschreibungen.  Sie ist vielmehr als elementare Strategie einer politischen Technik zu betrachten, die darauf abzielt, die multikulturelle Gesellschaft auf eine spezifische Weise qua Ermächtigung religiösen Subjektes regierbar zu machen. Tatsächlich könne denn auch nach der Grundidee der DIK die Integration des Islam nicht einfach darin bestehen, das bestehende verfassungsrechtliche Religionsregime auf den Islam auszuweiten. Damit rückt die Islampolitik, die sich nicht auf ein „Souveränitätsmodell“ beschränken lässt, zugleich als Bevölkerungspolitik ins Zentrum der Integrationspolitik, bei der die Konstruktion eines zurechenbaren muslimischen Subjekts hohe strategische Priorität genießt.

Zugleich drängt sich der Eindruck auf, dass diese an die Integrationsforderung gebundene Kultivierungsoffensive, die erklärtermaßen in den „Euro-Islam“ münden soll, über ihren konjunkturellen Aufschwung hinaus durchaus von epochaler Reichweite zu sein scheint. Zu diesem Zweck werde ich meiner Analyse der gegenwärtigen Islampolitik eine Studie über die erste deutsche Islampolitik voranstellen, die während des kurzweiligen Kolonialismusabenteuers Deutschlands bis zum Ende des ersten Weltkrieges ein geopolitisch bedeutsames Konzept war. Bemerkenswerterweise drehte sich der große Richtungsstreit zwischen der durch die christlichen Missionare verlangten Bekämpfung des Islam und der von der aufstrebenden Islamwissenschaft flankierten gouvernementalen Einbeziehung des Islam („Europäisierung des Islam“) um den „Kulturwert des Islam“. Durch diesen zeitlichen Kontrast wird man besseren Einblick in die zivilisationspolitische Dimension der bislang auf die sektorale Einwanderungsthematik begrenzten Integrationsforderung gewinnen.

Publikation

Cover

Levent Tezcan: Das muslimische Subjekt. Verfangen im Dialog der Deutschen Islam Konferenz. Konstanz: Konstanz University Press, 2012.