Universität KonstanzExzellenzcluster: Kulturelle Grundlagen von Integration

Das kulturelle Gedächtnis der Stalinzeit

Zeit- und Geschichtsvorstellungen in der Sowjetunion der 1930er und 40er Jahre

Gunnar Lenz

Abstract

Das vorliegende Projekt soll die narrative, diskursive und mediale Verfasstheit der Zeit- und Geschichtskonzeptionen der Stalinkultur untersuchen.

Die Untersuchung der kulturellen Modellierung von Zeit- und Geschichtsbildern im totalitären System der Sowjetunion dient einem doppelten Ziel: Einerseits soll die sowjetische Kultur der 30er und 40er in einem breiteren zeittheoretischen Horizont verortet werden, andererseits soll mit einer Analyse von Zeitkonzepten der Stalinkultur das komplizierte Verhältnis linearer und zyklischer Vorstellungen am konkreten Beispiel untersucht werden.

Zeit- und Geschichtsvorstellungen transformieren die sowjetische Kultur der Stalinzeit als Ganze. Mit der Propagierung eines sowjetischen und vor allem russlandbezogenen Patriotismus seit der zweiten Hälfte der 30er Jahre unterlaufen zyklische Zeitvorstellungen das bislang in der Sowjetunion vorherrschende lineare Geschichtsbild.

In diesem Zusammenhang werden historischer Roman und Film in der Folge zum wichtigsten und von der Staatsspitze geförderten und geforderten Genre. Allgemein treten Literatur und Spielfilm in Konkurrenz zum historiographischen Diskurs. Mit Hilfe einer Analyse der historischen Sujets und verschiedener Zeitkonzepte in Literatur, Film und theoretischen Texten sowie der Wechselwirkung zwischen geschichtswissenschaftlichem Diskurs und fiktionalen Werken soll der Frage nach der Spezifik einer Kultur nachgegangen werden, die sich vom Fortschrittsgedanken der Moderne abgrenzt.

Diese Analyse der literarischen, filmischen und theoretischen Werke soll Aufschluss geben über Formen und Funktionsweisen des kulturellen Gedächtnisses der Stalinzeit. Dabei werden gerade auch gegenläufige Tendenzen und dem  monolithischen Geschichtsbild der Stalinzeit inhärente Widersprüche zum Gegenstand der Untersuchung. Diese äußern sich vor allem in der spezifischen Spannung zwischen linearen und zyklischen Zeitvorstellungen sowie der Vorstellung einer ewigen Gegenwart, durch die die sowjetische Kultur der 30er und 40er Jahre  charakterisiert wird.

Das Konzept des kulturellen Gedächtnisses ermöglicht die verschiedenen Ebenen einer solchen Untersuchung in ihrem komplexen Wechselverhältnis zu erfassen und in einem aktuellen kulturwissenschaftlichen Rahmen zu beschreiben.