Universität KonstanzExzellenzcluster: Kulturelle Grundlagen von Integration

Sicherheitskultur, Strategieentwicklung und "Vernetzte Sicherheit" in der Bundesrepublik Deutschland und den USA

Martin Zapfe

Abstract

„Ausgangspunkt dieser Untersuchung ist die zunächst banale Beobachtung, daß unterschiedliche Länder anscheinend ganz unterschiedliche Wege bei der Bearbeitung gleichartiger Probleme einschlagen.“

Im Rahmen der seit dem Beginn der neunziger Jahre zur Normalität gewordenen Auslandseinsätze der Bundeswehr außerhalb des Gebietes des Nordatlantikpaktes sieht sich deutsche Außenpolitik auf operativer Ebene neuen Herausforderungen ausgesetzt. Vom ersten bewaffneten Einsatz in Somalia 1993 über die verschiedenen Operationen auf dem Balkan bis hin zur Mission in Afghanistan lässt sich in der Tendenz sowohl eine erhöhte Bedrohungslage des eingesetzten zivilen und militärischen Personals als auch ein schwerer zu definierendes und zu erfassendes operatives Umfeld diagnostizieren. Einsätze wie der in Afghanistan stellen die etablierten Mechanismen deutscher Außenpolitik, ihre Strukturen und Prozesse vor Herausforderungen, auf die sie trotz einiger politischer Initiativen erst rudimentär geantwortet hat. Die sicherheitspolitisch relevante deutsche Ressortarchitektur ist noch immer von den Notwendigkeiten einer konventionellen, territorialen Bedrohung durch den Warschauer Pakt und einer zu erwartenden klaren Trennung von Frieden, Krise und Krieg gekennzeichnet. Dementsprechend waren wenige Unstimmigkeiten zwischen dem für die Diplomatie und strategische Planung verantwortlichen Auswärtigem Amt (AA) und dem Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) zu beobachten, die Verantwortlichkeiten waren relativ klar geteilt. In den Einsatzszenarien der letzten zehn Jahre verschwimmen diese klaren Linien.  

Rufe nach einer verstärkten ressortübergreifenden Zusammenarbeit im Rahmen eines Ansatzes der „Vernetzten Sicherheit“ sind zwar stetig zu vernehmen, fundamentale praktische Resultate bleiben aber aus. In anderen Staaten dagegen werden entsprechende Reformen mit größerer Energie vorangetrieben. Standen die USA nach dem kurzen Invasionskrieg ihrer Armee im Irak 2003 vor den vergleichbaren Problemen wie die Bundesrepublik in Afghanistan – Abstimmungsschwierigkeiten zwischen den Ressorts auf der operativen Ebene, widersprechende und unkoordinierte Anweisungen auf verschiedenen Befehlswegen, und das Fehlen einer gemeinsam strategischen Führung – so haben seit der Mitte des Jahres 2006 entsprechende Reformen hin zu einem „Whole of Government Approach“ und verstärkter ressortgemeinsamer Kooperation aus einer Vielzahl von Faktoren heraus an Bedeutung und Geschwindigkeit gewonnen. Vergleichbare Entwicklungen sind in Afghanistan zu beobachten.

In der Bundesrepublik ist dagegen das AA im Rahmen bestehender Richtlinien des Bundeskanzlers das für die strategischen Grundentscheidungen der Außenpolitik zuständige Ministerium. Doch in den Einsatzgebieten trägt das BMVg die personelle, materielle und finanzielle Hauptlast der verschiedenen Engagements, die im Schwerpunkt, trotz der Bemühungen um eine „zivile Außenpolitik“, militärisch geprägt waren und sind. Als Resultat ist die strategische Verantwortlichkeit für die Formulierung der Interessen, Ziele und Mittel deutscher Außenpolitik nicht auf eine angemessen breite Basis gestellt – die Strategiefähigkeit der Bundesrepublik, verstanden als die Zuordnung von notwendigen Mitteln und Ressourcen unter ein vorgegebenes politisches Ziel, leidet darunter. Das führt zu deutlichen Defiziten der ressortgemeinsamen Kooperation auf der operativen Ebene im Einsatzland, wie in den Provincial Reconstruction Teams (PRT) in Afghanistan.

Die vorliegende Dissertation soll auf der Grundlage dieser Diagnose untersuchen, ob kulturelle, genauer: sicherheitskulturelle Faktoren als Ursachen die unterschiedlichen Grade der institutionell-ministeriellen Anpassungsfähigkeit gegenüber vergleichbaren funktionalen Herausforderungen identifiziert werden können. Dazu werden als Analyseebene die relevanten Organisationsnetzwerke der jeweiligen Ministerialbürokratie untersucht. Der kulturelle Ansatz ist zwar seit seiner Einführung in die Politikwissenschaft umstritten und bringt methodische Probleme mit sich, bietet mit seiner Suche nach Alleinstellungsmerkmalen nationaler und regionaler Norm- und Politiksysteme jedoch einen passenden Ausgangspunkt für diese auf die Bundesrepublik bezogene Arbeit.

Werner Jann: Staatliche Programme und „Verwaltungskultur“, Opladen 1983, S. 1.