Universität KonstanzExzellenzcluster: Kulturelle Grundlagen von Integration

Mit Wissen handeln

Gelehrte Kaufleute und Weltbeschreibungen in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts

PD Dr. Sina Rauschenbach

Abstract

Die Frage, welches Wissen Industrie- und Handelsgesellschaften brauchen und welchen Wissens sie entbehren können, ist in Zeiten zunehmender Spezialisierung und wachsender Globalisierung aktueller und umstrittener denn je. In den von Vertrauensverlust, Desintegration und gesellschaftlichen Umbrüchen gezeichneten Niederlanden des 21. Jahrhunderts besinnen Intellektuelle sich jetzt auf ein Ideal, das mehr als dreihundert Jahre alt ist und für das Selbstverständnis des niederländischen Bürgertums lange Zeit prägend war. Einer der bekanntesten niederländischen Schriftsteller und Journalisten der Gegenwart, Geert Mak, appelliert neuerdings für eine Wiederbelebung des „mercator sapiens“, des sowohl wissenden als auch weisen Kaufmanns.

Dieses Bild des „mercator sapiens“ hatte der Philosoph und Dichter Caspar Barlaeus (1584-1648) bei der Eröffnung des Amsterdamer Athenaeum Illustre 1632 ins Leben gerufen, und es war in der Folge zu einem Ansporn und Projekt für das gesamte holländische Bürgertum geworden. Laut Barlaeus sollten sich Philosophie und Kommerz, Weltweisheit und Welthandel nicht als Gegensätze gegenüberstehen, sondern zu beiderseitigem Vorteil ergänzen. Gelehrte sollten die Erfahrungen von Kaufleuten zur Vermehrung ihres Wissens nutzen. Kaufleute sollten bei ihren Geschäften vom Wissen und der Weisheit der Philosophen profitieren. Sie sollten Verantwortung in den Beziehungen zu ihren Handelspartnern und Bescheidenheit im Umgang mit ihrem Besitz üben. Dabei, so Barlaeus weiter, sei der Kaufmann immer auch ein Reisender, der über bestimmte interkulturelle Kompetenzen und ein bestimmtes Weltwissen verfügte. Niemand könne in einem Land erfolgreich sein, der die Sprache nicht beherrsche und mit der Geographie, der Naturbeschaffenheit, den Sitten und den Traditionen der Einwohner nicht vertraut sei. Der „mercator sapiens“ war aufgefordert, die Bücher und Schriften derjenigen zu konsultieren, die von ihren Erfahrungen mit fremden Ländern berichteten. Gleichzeitig sollte er mehr noch als in der Realität im Geiste reisen, um alles zu sehen, ohne Gefahren auf sich zu nehmen. Amsterdam sollte die Stadt Mercurs und Athenes werden: Handelsmetropole, Sammelpunkt verschiedener Nationen und Kulturen, Sitz des Wissens und der Weisheit.

Barlaeus’ Feststellung, dass nur diejenigen ihre Geschäfte erfolgreich betreiben konnten, die auch die Welt kannten, führt in den Mittelpunkt des vorliegenden Forschungsvorhabens. Es wird untersucht, welche Kenntnisse als unentbehrlich für die Kaufleute erachtet wurden, wie und mit welchen Ansprüchen diese Kenntnisse vermittelt wurden und wie Weltsichten geformt wurden, die als charakteristisch für die niederländische Kaufmannschaft des 17. Jahrhunderts angesehen werden können. Ausgangspunkt ist eine Buchreihe, die sich zur Bestimmung dieser Weltsichten besonders eignet. Es handelt sich um 35 Überblicksdarstellungen zu den wichtigsten europäischen, einigen außereuropäischen und den drei zentralen antiken Kulturen Griechenland, Israel und Rom, die zwischen 1625 und 1649 im Leidener Verlagshaus Elzevir erschienen und – in Anlehnung an die Titel – unter der Bezeichnung „Republiken“ zusammengefasst wurden. Zunächst für Studenten der Leidener Universität geplant, wandten sich diese Bücher schnell an ein breiteres Publikum und entsprachen in auffälliger Weise den Forderungen, die an das Wissen des „mercator sapiens“ gestellt wurden. Die Autoren waren zum Teil Kaufleute, zum Teil Gelehrte oder Mitarbeiter des Verlags, die bei der Publikation nicht namentlich genannt wurden. Für ihre Darstellungen kompilierten sie Zeugnisse aus Reiseberichten und Chroniken. Es ging weniger darum, neues Wissen zu finden, als vorhandenes systematisiert und mit einem Anspruch der Vollständigkeit zusammenzustellen.

Im vorliegenden Forschungsvorhaben werden die „Elzevirschen Republiken“ erstmals in ihrer Gesamtheit bearbeitet und im Zusammenhang von Selbstverständnis, Weltwissen und Kultur der Amsterdamer Kaufleute analysiert. Dabei wird einerseits ein Beitrag zu denjenigen Studien geleistet, die sich in jüngerer Zeit mit dem niederländischen Blick auf fremde Länder beschäftigt haben. Andererseits geht es im Kontext einer neueren Kulturgeschichte des Wissens um Handel und Erkenntnis in der Frühen Neuzeit. Die Ergebnisse werden in einer Monographie veröffentlicht, die einem allgemeinen, an kulturwissenschaftlichen Fragestellungen interessierten Publikum einen Einblick in die Welt der Amsterdamer Kaufleute und ihre Antwort auf die Frage vermitteln soll, wie viel und welche interkulturellen Kompetenzen eine Welt braucht, die ökonomisch erfolgreich sein und gleichzeitig vor den Problemen ihrer Zeit bestehen will.