Universität KonstanzExzellenzcluster: Kulturelle Grundlagen von Integration

Der Zusammenhang von Wissen/Nichtwissen und Recht

Prof. Dr. Hans-Heinrich Trute

Abstract

Das Forschungsvorhaben widmet sich dem Zusammenhang von Wissen/Nichtwissen und Recht und zwar in beiden Richtungen. Wissen wird als eine kognitive Grundlage des Rechts verstanden, Ungewißheit (hier verstanden als Oberbegriff einer Vielfalt von möglichen Differenzierungen des Nichtwissens) stellt Grundlagen des Rechts in Frage. Diese ist nicht nur auf den Gegenstandsbereich des Rechts bezogen, die dann Schwierigkeiten der Zurechnung begründet. Vielmehr hat sie epistemische und epistomologische Konsequenzen. Ungewissheit betrifft die juristischen Mechanismen, die Konstruktionen des Systems selbst, in dem die Unterscheidung von Selbst- und Fremdreferenz unsicher wird. Anders gesagt: Ungewissheit ist nichts dem Recht äußerliches, dass allein seinem Realbereich zuzurechnen ist. Es ist in diesem Sinne nicht einfach ein epistemes Problem seines Erkenntnis- oder Beschreibungsobjekts, sondern ebenso seiner Weise, es zu beobachten.

Das Recht beeinflusst zudem die Prozesse der Wissensgenerierung und –verteilung und erzwingt so in seiner Umwelt Anpassungsprozesse, die allerdings ihrerseits auf das Recht wieder zurückwirken. Insoweit unterliegen eine Reihe von Grundkategorien des Rechts der Veränderung.

Man kann das exemplifizieren an dem Ableitungszusammenhang von Gesetz und Entscheidung. Wenn hinreichend stabile Konventionen und Erfahrungsmuster nicht bestehen, dann wird dieser Ableitungszusammenhang brüchig. Soziale Konventionen, auf die gesetzliche Regelungen gestützt werden könnten, unterliegen ebenfalls einem Pluralisierungsprozess, der stabile Ordnungsmuster und ihnen eingeschriebene Wissensbestände prekär macht. Stabile Erfahrungsregeln können also in bestimmten Bereichen nicht mehr unterstellt werden. Erforderlich werden daher komplexe Verfahren, die auf die vom Einzelfall und der Entscheidung abgehobene Generierung von Wissensbeständen zielen, die ihrerseits als reversibel gedacht werden müssen. Von daher bestimmen zunehmend komplexe, rechtlich mehr oder weniger institutionalisierte Wissensinfrastrukturen das Bild, deren Ziel nichts anderes ist, als ein funktionales Äquivalent des Erfahrungswissens zu generieren und dies wissenschaftlich zu gründen. Dieses bleibt freilich prekär und ist nicht notwendig stabil.

Anders gewendet: Der Verlust von Erfahrungs- und Regelwissen wird durch diese wissensgenerierenden Verfahren ersetzt, was gleichzeitig erhebliche Folgen für den im klassischen Modell vorausgesetzten Ableitungszusammenhang von Gesetz, Entscheidung und Kontrolle hat.

Sicheres Indiz für diese Entwicklung sind die  vielfach verschliffenen Prozesse der Normkonkretisierung, in denen sich normative und kognitive Elemente ununterscheidbar mischen  und damit wesentliche Elemente des juridischen Modells in Frage stellen, die Unterscheidung von Sachverhaltsfeststellung und seiner normativen Bewertung. Dieses mag prozedural ein Stück weit entkoppelt werden, aber die Distanzverluste des Rechtssystems sind insoweit unübersehbar. Es kann selbst in den Feldern der Ungewissheit nur in reflexiver Weise gedacht werden. In der Konsequenz aber heißt dies durchaus: Institutionen, wie sie rechtliche Arrangements darstellen und aufspannen, binden nicht nur Ungewissheit, sondern ändern sich auch im Umgang mit Ungewissheit. 

Die Zurechenbarkeit ist für die Rechtsordnung eine zentrale Kategorie, die deutlich macht, welche Sprengkraft das Nichtwissen in seinen Schattierungen für die Rechtsordnung hat. Tief in die Struktur der Rechtsordnung eingeschrieben ist als kognitive Grundlage des Rechts das Wissen  und das Nichtwissen scheint diese Struktur doch grundlegend in Frage zu stellen, oder doch eine Grenze des Rechts zu markieren. Wie soll eine Zurechnung erfolgen, wenn diese auf Nichtwissen gründet? Gleichwohl kennt die Rechtsordnung nicht nur feinsinnige Schattierungen des Nichtwissens, sondern ebensolche Feinsinnigkeit in den Differenzierungen der Zurechnung.

Diese wenigen Anmerkungen mögen zeigen, dass das Recht nicht nur vielfältige institutionelle Arrangements zum Umgang mit und der Absorption von Nichtwissen ausgeprägt hat, die zu analysieren auch Ertrag für andere disziplinäre Zugänge erbringen könnte, sondern selbst bis in seine Grundkategorien durch Nichtwissen Veränderungen unterliegt. Beide Perspektiven lassen sich weiter und durchaus grundlegender ausarbeiten, als dies bisher geschehen ist. Zugleich bietet aber auch die Rechtswissenschaft,  um ihrerseits Anregungspotential für andere disziplinäre Zugänge zu entwickeln.