Narrativität und der Wissenschaftsanspruch der Geschichtswissenschaft
Abstract
Kulturelle Identitätsstiftung wird von einer Reihe von narrativen Genres konstituiert. Zu diesen Genres gehört auch die (wissenschaftliche) Historiographie. Die Historiographie fundiert sowohl ihre Legitimität als eine spezifische Form der Identitätsstiftung als auch ihr Selbstverständnis in ihrem Wissenschaftlichkeitsanspruch, der sich nicht zuletzt im Faktenbezug ihrer Narrationen gründet.
Narrativität und narrativistische Theoriebildung werden allerdings in der geschichstheoretischen Diskussion häufig als Gefahr für diesen Wissenschaftsanspruch und damit für das Selbstverständnis und die Legitimität der Geschichtswissenschaft gewertet.
Das Projekt möchte diese Einschätzung korrigieren, indem es die epistemologisch-wissenschaftstheoretischen Konsequenzen des narrativistischen Ansatzes in der Geschichtstheorie systematisch untersucht.
Dabei wird die erkenntniskonstitutive Rolle des Historikers und seine kulturell bestimmte Gegenwartsposition ins Zentrum der Untersuchung gerückt. Es soll danach gefragt werden, welche Auswirkungen die theoretischen, weltanschaulichen oder auch lebensweltlichen Präsuppositionen auf markante Bereiche geschichtswissenschaftlichen Arbeitens haben. Im Einzelnen wird das Augenmerk auf die Konstituierung historiographischer Gegenstände und auf die Bildung des begrifflichen Apparates zu deren Beschreibung und Erklärung gerichtet und zwar in besonderer Hinsicht auf die narrative Integration dieser elementaren Einheiten zu narrativen Repräsentationen vergangener Wirklichkeit.
Ein besonderer Rationalitäts- und Ausweisungsdruck entsteht, so wird vermutet, durch die Konkurrenz- oder Koexistenzsituation multipler kultureller Identitätsentwürfe innerhalb und außerhalb der jeweiligen Gesellschaft, zu der der Historiker sich selbst als zugehörig ansieht. Denn angesichts einer Vielzahl potentieller (narrativer) Identitätsstiftungen können die eigenen erkenntniskonstitutiven Präsuppositionen nicht mehr als selbstverständlich vorausgesetzt werden, sondern müssen beständig reflexiv überprüft und gerechtfertigt werden. Auf diese Weise soll eine Vereinbarung des wissenschaftlichen Status der Geschichtswissenschaft mit moderner narrativistischer Theoriebildung ermöglicht werden.