Abstract
Anhaltende Flüchtlingsbewegungen in Richtung Europa führen den beteiligten transnationalen politischen und zivilgesellschaftlichen Akteuren die Schwierigkeit vor Augen, zu einem Konsens über die legitimen und legalen Aufenthaltsrechte von Migranten zu kommen. Divergenzen in der Anwendung und Auslegung der Genfer Konvention werden ebenso deutlich wie die Kontroversen, die die Fragen nach der (Ill-)Legalität und (Ill-)Legitimität des Status eines Menschen aufwerfen.
Das Bewusstsein um die Problematik komplexer Migrationskontexte manifestiert sich in dem von den Vereinten Nationen im Jahr 2000 in Kraft gesetzten so genannten Palermo-Protokoll zur „Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels“, das somit eine neue schutzbedürftige Personengruppe legal von den bisherigen Kategorien der politischen „Flüchtlinge“ und der „aus freien Stücken“ einreisenden „Migranten“ differenziert. Auch wenn dieses eine Definition des Konzepts Menschenhandels bzw. Opfer von Menschenhandel bietet, konnten Uneindeutigkeiten an vielen Stellen nicht aus der Welt geschaffen werden und die Konzepte bleiben mit dem Beigeschmack hegemonialer westlich geprägter Interpretationshoheit behaftet. Immer wieder werden Paradoxien deutlich, welche intentional philanthropische Paragraphen, strategisch gewollt oder unbeabsichtigt, in der Praxis mit sich bringen.
Innerhalb dieses komplexen transnationalen politischen Rahmens muss sich auch die „humanitäre Gemeinschaft“ positionieren, da diese trotz ihrer unterliegenden Prinzipien der Unparteilichkeit, Unabhängigkeit und – wenn auch immer mehr in Frage gestellt – Neutralität nicht in einem politischen Vakuum agiert. Die per definitionem „humanen“ Objektive der humanitären Hilfe werden dabei oft durch die situativen Gegebenheiten des Handlungskontextes sowie den übergreifenden politischen Rahmen herausgefordert und führen zu einer Praxis der humanitären Hilfe, die es jenseits offizieller Prinzipien und Leitfäden zu analysieren gilt.
Ausgehend von solchen Reflexionen setzt sich das Promotionsprojekt mit den Fragen auseinander, welche Rolle Humanitarismus im System der transnationalen Kontrolle von Menschenhandel einnimmt, in welche Abhängigkeiten und Kooperationen humanitäre Organisationen verstrickt sind, zu welchen Paradoxien ihre Aktivitäten führen können und wie sich das Verhältnis zu ihren Klienten (d.h. „illegale Migranten“ bzw. „Opfer von Menschenhandel“) in der Praxis gestaltet.
Dies soll in einer ethnographischen Feldstudie über einen längeren Zeitraum hinweg multiperspektivisch und emisch untersucht werden. Weiter ist es für das Projekt wichtig, die Perspektiven und Erfahrungen von „Opfern von Menschenhandel“ bzw. „illegalen Migranten“ selbst in die Forschung einzubeziehen, um dualistische Täter/ Opfer-Kategorien sowie fixe Konzepte von Kriminalität oder Moral zu hinterfragen und stattdessen die Agency, also Handlungsmächtigkeit, und Strategien der Migranten im Kampf um ein „gutes Leben“ stärker ins Augenmerk zu rücken. Diese Thematiken führen so letztlich zu der übergeordneten Frage nach der Ontologie des Menschen als Subjekt, da die Konzepte über dessen Integrität und Handlungsmacht ebenso umstrittenen sind wie das Set an individuellen und universalen Rechten, die ihm zugestanden werden.