Universität KonstanzExzellenzcluster: Kulturelle Grundlagen von Integration

Das Heilige und das Profane

Bibelepik in Mittelalter und Früher Neuzeit als kulturspezifische Integrationsfigur

Prof. Dr. Bruno Quast

Abstract

Das Projekt verfolgt die Narrativierung (die Adaptationen biblischer Texte) der Bibel in der Volkssprache in ihren Etappen vom 12. bis zum 15. Jahrhundert. Es fragt nach der Synthetisierung von Heiligem und Profanem in der mittelalterlichen Bibelepik. Das bibelepische Erzählen beansprucht einen Repräsentationsstatus sui generis, der sich vom liturgisch-rituellen Gebrauch der biblischen Texte abhebt. Über diesen liturgisch nicht mehr verrechenbaren Geltungsanspruch hinaus setzt sich das Wiedererzählen des Heiligen Textes mit der sich ausbildenden Fiktionalitätskultur einer weitgehend laikal geprägten höfischen wie städtischen Gesellschaftsschicht auseinander. Die Integration von Heiligem und Profanem in bibelepischen Erzählungen stellt im Vergleich zum antagonistischen Verhältnis von Koran und Dichtung einen kulturspezifischen Sonderfall dar. Wie immer man die Relationierung von Heiligem und Profanem in der Bibeldichtung auch fassen mag – ob als Profanierung, Säkularisierung, Entzauberung oder umgekehrt als Heiligung des Profanen -, fest steht, dass der jüdisch-christliche Heilige Text im Unterschied zum Koran Gegenstand von Narration werden kann.

Das Projekt soll ‚Etappen’ einer Narrativierung der Bibel in Mittelalter und Früher Neuzeit (12.-15. Jh.) nachgehen und damit der Frage, wie hier prozessual in Form vielgestaltiger Durchdringungen von Heiliger Schrift und profaner Dichtung eine kulturspezifische Integrationsfigur von Heiligem und Profanem entstehen konnte, der ein epochaler Rang zugesprochen worden ist. Die Spätantike und das späte 18. Jahrhundert wären als zeitlicher Rahmen eines weit gespannten medium aevum anzusetzen. Es wird einiger Anstrengung bedürfen, die literarische Syntheseleistung, die sich in den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen bibelepischen Erzählungen findet, begrifflich auf den Punkt zu bringen. Wie manifestiert sich in den erzählerischen Reprisen der Bibel Integration von Heiligem und Profanem, wie lässt sich in diesem Zusammenhang Integration konzeptualisieren? Um Profanierungen würde es sich handeln, wenn das Heilige in Form des heiligen Textes für den allgemeinen Gebrauch reklamiert würde (Giorgio Agamben). Eine Vorstellung von Säkularisierung unterstellt die Persistenz des Heiligen im Profanen. Und schließlich: Wenn in bibelepischen Erzählungen Schemata der profanen Literatur appliziert werden, was bedeutet dies für die ‚weltliche’ Literatur? Haben wir es hier nolens volens mit einer ‚Heiligung’ des Weltlichen zu tun wie umgekehrt mit einer Verweltlichung des Heiligen? Wie lässt sich Bibelepik als Hybridfigur begrifflich-theoretisch fassen?