Die Dynamik von Gruppenkonflikten in multinationalen Mehrebenensystemen – Integration oder Akkommodierung?
Eva Maria Rhode (ehemals beteiligt: Bettina Petersohn)
Abstract
Das Forschungsinteresse des Projektes zielt auf die Untersuchung des Umgangs mit innerstaatlichen Konflikten in multinationalen Staaten. Diese Konflikte entstehen aus Forderungen nationaler Minderheiten nach Anerkennung ihrer Andersartigkeit in der Verfassung, Verbesserung der Repräsentation in gesamtstaatlichen Institutionen, nach Ausdehnung legislativer Kompetenzen des Gliedstaates oder auch nach Separation. Hierin stellt sich die grundsätzliche Frage nach dem Verhältnis von Einheit und Vielfalt, nach der Wahrung der gesamtstaatlichen Integrität bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Andersartigkeit, die in Verhandlungsprozessen zwischen Akteuren des Gesamtstaates und verschiedener Teilbevölkerungen bearbeitet werden muss.
Diese Aushandlungsprozesse können zwei unterschiedlichen Strategien der Konfliktregulierung – Integration und Akkommodierung – folgen. Während Integration zwar die grundsätzliche Anerkennung der kulturellen Andersartigkeit beinhaltet, verbleibt die Verantwortung ihrer Bewahrung rein private Angelegenheit der Mitglieder der Gruppierungen. Demgegenüber umfasst Akkommodierung die Schaffung von Möglichkeiten, kulturelle Differenzen im öffentlichen Raum auszuleben und die Koexistenz verschiedener Gruppen in einem Staat dauerhaft zu sichern. Dem Gesamtstaat kommt innerhalb dieser Strategien jeweils eine unterschiedliche Rolle zu, von der Sicherung gleicher individueller Rechte bis hin zur dauerhaften Sicherung der Fortexistenz kultureller Andersartigkeit beispielsweise mit Hilfe finanzieller Förderung, Sprachpolitik oder Sonderrechten.
Unter der Annahme rationaler Interessenverfolgung werden nationale Minderheiten eher eine akkommodierende Strategie fordern, während gesamtstaatliche Akteure sich eher an der Integrationsstrategie orientieren. Eine der wichtigsten aktuellen Herausforderungen an demokratische Verfassungsstaaten besteht darin, diesen Interessenkonflikt in einem offenen und fairen Verfahren zu bearbeiten, denn von der Güte des Verfahrens hängt unter anderem der Erfolg des Prozesses ab. Anhand von vier vergleichenden regionalen Fallstudien (Spanien: Katalonien – Andalusien; UK: Schottland – Wales) wird im Zeitverlauf untersucht, wie der Konflikt um die Akkommodierung der unterschiedlichen Interessen praktisch umgesetzt wird und welche Auswirkungen und Ergebnisse diese wechselseitigen Forderungen und Erwartungen in Verhandlungsprozessen haben.
Leitfragen
Wie lässt sich der Verlauf von Verhandlungsprozessen rekonstruieren? Wie lässt sich daraus ableiten, wann es zu einer Ausbalancierung der unterschiedlichen Interessen kommt?
Unter welchen Bedingungen einigen sich Vertreter einer regionalen Gruppe oder des Gliedstaates und des Gesamtstaates auf Maßnahmen der Integration bzw. der Akkommodierung?
Welche Rolle spielen institutionelle Kontextfaktoren, wie die Art der Kompetenzverteilung, Institutionen der Machtteilung oder Charakteristiken des Parteiensystems sowie kulturelle Faktoren, wie das Selbstverständnis der Gruppe oder die historische Entwicklung des Verhältnisses zu anderen Gemeinschaften für den Erfolg der Akkommodierung?
Welchen Einfluss haben ökonomische Faktoren und die Finanzkrise auf Forderungen der verschiedenen Gruppen, auf Verhandlungen und die daraus resultierenden Politiken der Akkommodierung?
Welche Schlussfolgerungen lassen sich hieraus langfristig für die Dynamiken in multinationalen Staaten ableiten?
Basierend auf der explorativ vergleichenden Analyse qualitativer Fallstudien zielt das Projekt auf die Entwicklung theoretischer Erklärungsansätze zur Konfliktregulierung und föderalen Dynamiken in multinationalen Staaten.
New Policies of Accommodating Diversity
Challenges and Opportunities for Multilevel States
international conference
13–15 June 2013 (Thu–Sat)
University of Konstanz, Germany
Publikation
Petersohn, Bettina; Behnke, Nathalie; Rhode, Eva M.: Negotiating territorial change in multinational states: Party preferences, negotiating power and the role of the negotiation mode. In: Publius: The Journal of Federalism, (2015). doi: 10.1093/publius/pjv016