Nationale Verwaltungen in der transnationalen Integration
Zur Empirie und rechtlichen Bewältigung administrativer Loyalitätskonflikte
Prof. Dr. Christoph Knill, Prof. Dr. Hans Christian Röhl, Prof. Dr. Christoph Schönberger, Dr. Michael Bauer, Muriel Kaufmann, Michael Schlichenmaier
Abstract
Das multidisziplinär angelegte Forschungsprojekt untersucht unter Bezug auf verwaltungswissenschaftliche und rechtswissenschaftliche Ansätze die organisatorischen und verwaltungskulturellen Auswirkungen der zunehmenden transnationalen Vernetzung der mitgliedstaatlichen Behörden und Regulierungsagenturen innerhalb des europäischen Verwaltungsraumes und fragt nach Möglichkeiten ihrer rechtlichen Bewältigung.
Untersuchungsgegenstand sind nationale Regulierungsbehörden, die in Folge ihrer Einbindung in wirtschaftliche und politische Integrationsprozesse mit unterschiedlichen administrativen Referenzmodellen konfrontiert sind.
Dabei erfolgt eine sachliche Fokussierung auf Konstellationen, in denen solche Loyalitätskonflikte in besonderem Maße zu erwarten sind: der zunehmenden horizontalen Integration nationaler Regulierungsagenturen (Agencies) in europäische Regulierungsnetzwerke. Hier werden Phänomene wechselseitiger Integration und Desintegration administrativer Kulturen in besonderem Maße virulent, weil sie sich nicht mehr als Konflikte zwischen staatlichen oder Verwaltungseinheiten darstellen, sondern als Spannungen innerhalb eines beteiligten Akteurs.
Im verwaltungswissenschaftlichen Teilprojekt geht es in erster Linie um die Identifizierung von Konstellationen, in denen Verwaltungen mit konkurrierenden Referenzmodellen in ihrem organisatorischen Umfeld konfrontiert sind. Grundlage hierfür ist die Spezifizierung und Operationalisierung der abhängigen Variablen „Organisationskultur“ (Struktur) und „Einstellungsmuster“ (Akteure). Die Datenerhebung in den jeweiligen Organisationen zielt im Besonderen auf die spezifische Konstellation der möglichen Konkurrenz administrativer Referenzmodelle ab:
- Wie verhalten sich Verwaltungen bzw. Mitarbeiter, wenn organisatorische Gestaltungsentscheidungen anstehen, aber die jeweiligen Referenzmodelle weit auseinander liegen?
- Inwieweit kommt es zu Legitimationsproblemen oder Loyalitätskonflikten, die die zur Problemlösung notwendige Integration der Modelle behindern?
- Unter welchen Bedingungen übernimmt eine Organisation das eine oder andere Modell bzw. bewegt sich in eine Zwischenposition?
Das rechtswissenschaftliche Teilprojekt geht der Frage nach, mit welchen Mechanismen dem Dilemma der „double-hatted-agencies“ in einzelnen Mitgliedstaaten mit ihrer je verschiedenen Verwaltungstradition und –struktur rechtlich begegnet wird. Anhand der rechtlichen und praktischen Einbindung der jeweiligen nationalen Regulierungsbehörden in die administrativen Zusammenhänge einzelner Mitgliedstaaten soll dazu vergleichend untersucht werden, welche rechtlichen und kulturellen Rahmenbedingungen die europäische Integration auf der Verwaltungsebene steuern, fördern oder behindern. Die rechtstatsächlichen Untersuchungen des verwaltungswissenschaftlichen Teilprojekts machen es möglich, die Anwendung loyalitätssichernder Vorkehrungen im konkreten Fall zu beobachten und die ansonsten schwer zugänglichen verwaltungsinternen Regeln der Loyalitätssicherung zu ermitteln.
Die rechtlichen Strukturprobleme der administrativen Verflechtung und pluralisierten Loyalitätsbeziehungen im europäischen Verwaltungsraum lassen sich zudem in einer allgemeineren Perspektive besser verstehen, wenn vergleichend parallele Phänomene in Entwicklung und Struktur der traditionellen Bundesstaaten in den Blick genommen werden. Die komparative Untersuchung, deren Schwerpunkt zunächst auf dem schweizerischen und deutschen Föderalismus liegt, erlaubt die Erarbeitung allgemeinerer Kategorien auf einer mittleren Abstraktionsebene.