Universität KonstanzExzellenzcluster: Kulturelle Grundlagen von Integration

Führer und Gründer

Zur narrativen Konstruktion von Aufstieg und Gemeinschaftsstiftung

Prof. Dr. Eva Horn, PD Dr. Armin Schäfer

Abstract

Geschichten von Führern und Gründern sind Geschichten vom Aufstieg eines Individuums und seiner Kunst, um sich Gemeinschaften zu scharen und deren Ziele und Handeln auf die eigene Person zu fokussieren. Literatur, Geschichtsschreibung und Mythologie sind voll von Geschichten solcher Aufstiege und Gründungen. Ziel des Projekts ist, nicht nur die fundamentalen Elemente solcher Erzählungen zu sichten und zu analysieren, sondern auch eine Art „Grammatik“ solcher in verschiedenen Epochen und Kulturräumen wiederkehrenden Elemente zu erarbeiten. Dabei geht es um die zentralen Funktionen solcher Narrative für Prozesse und Techniken sozialer Integration. Kennzeichnend ist dabei, daß sie den Aufstieg eines Subjekts zum politischen Frührer und/oder Gründer einer Gemeinschaft als kohärente und unweigerliche Entwicklung konstruieren. Die Kontingenz historischer Rollen und Handlungsspielräume wird so in die Notwendigkeit einer individuellen Subjektentwicklung überführt. Damit werden Bindungen der Identifikation oder Gefolgschaft ermöglicht. Dabei entfaltet sich in der Lebensgeschichte des Führers oder Gründers jenes Paradox von Gründungsakten, die Setzung einer Ordnung gerade durch eine Verletzung überkommener Gesetze und Verbote zu fundieren.

Das Projekt situiert sich innerhalb des Forschungsfelds B – Erzähltheorie als Kulturtheorie – und untersucht exemplarische Erzählungen vom Aufstieg in Fiktion und Geschichtsschreibung: etwa dem historischen Romanen, Autobiographien und Biographien, Legenden, Chroniken, Exempla, aber auch Dramen oder Märchen. Untersucht man die konstanten erzählerischen Elemente, die solche Narrative strukturieren, so lassen sich gewisse Konstanten identifizieren:

  • die Unklarheit der Ursprünge und die Zeichen der Erwähltheit
  • die Ausgesetztheit/Gefährdung als Kind und die erste Mut-/Kraftprobe
  • die Zeit der Verkennung und Prüfung
  • die Affirmation eigener Autonomie und Konstitution einer Gefolgschaft
  • wechselnde Allianzen und Trennungen/Schismen
  • die Serialität der Heldentaten und Wendepunkte
  • Gefahrenmomente und Konflikte
  • die Formen der Stabilisierung von Herrschaft durch Verträge, Krönungen und Abdankungen

Effekt solcher Elemente ist die Konstruktion von Charisma in dem Sinne, wie es  Max Weber in Wirtschaft und Gesellschaft als eine der drei Grundformen legitimer Herrschaft charakterisiert hat. Dabei hat Max Weber gezeigt, daß es nicht so sehr um die tatsächlichen Eigenschaften und Fähigkeiten des Charismaträgers geht, sondern vielmehr um Charisma als einen Beobachtungs- und Zuschreibungseffekt. Charismatische Herrschaft wird von Narrativen erzeugt, und sie erfordert immer neue Erfolge und Beweise der Erwähltheit oder Begnadetheit. Sie ist so durch Instabilität gekennzeichnet und ein typisches Kennzeichen der Dynamik von sozialen Umbruchsphasen. Deshalb sind der Typus von Herrschaft und die Technologie des Machterwerbs genauer zu beschreiben, der in diesen Narrativen seine Konstruktion und Legitimation erfährt - und manchmal auch seine Delegitimation.

Ziel des Projekts ist eine gemeinsame Studie, die anhand exemplarischer Einzelfälle (1) die Strukturelemente solcher Erzählungen, (2) die politischen Techniken und Praktiken des Aufstiegs und der Gemeinschaftsstiftung und (3) die kulturellen Funktionen solcher Narrative untersucht. Geplant sind Beiträge u.a. zu König David, Alexander, Romulus, Arminius, Napoleon, Bolivar, Hitler, Mao. Die Studie wird – unter Hinzuziehung von Experten aus Zeitgeschichte, Jüdischen Studien, Alter Geschichte, Mediävistik und Sinologie – von den beiden Antragstellern verfaßt.