Universität KonstanzExzellenzcluster: Kulturelle Grundlagen von Integration

Moros en la costa!

Inszenierung des Eigenen und des Fremden in andalusischen Festivals der „Moros y Cristianos“

Projektleitung

Prof. Dr. Thomas Hauschild

Beteiligte Wissenschaftlerin

Sina Lucia Kottmann

Abstract

Das Grenzgebiet Spanien-Marokko ist, als ältestes muslimisch-christliches Grenzgebiet des Mittelmeerraums, seit der zügigen Ausbreitung des Islam im 8. Jahrhundert eine bedeutende Naht- und Bruchstelle zwischen Orient und Okzident.

Heute liefert die seit Mitte der 1980er Jahre zunehmende, großteils illegale Einwanderung aus dem Maghreb und Ländern des subsaharischen Afrika über das Mittelmeer, erneut Zündstoff für interkulturelle, interethnische und interreligiöse Konflikte in Südspanien. Insbesondere infolge der Anschläge des global vernetzten islamistischen Terrornetzwerks Al Quaida in Casablanca und Madrid (2003/2004) und der jüngsten dramatischen Flüchtlingszenen an den EU-finanzierten Stacheldrahtwällen in den spanischen Exklaven Ceuta und Melilla sieht sich Spanien auf internationaler Ebene verstärkt gezwungen, sich innerhalb der Europäischen Gemeinschaft mit wachsendem "europäischem" Selbstbewusstsein als Grenzposten zwischen Europa und Afrika zu verorten.

Angesichts der aktuellen globalen Entwicklungen wird auch im gesellschaftlichen Diskurs Südspaniens 'Clash' und Dialog zwischen den Kulturen und Religionen thematisiert. Darüber hinaus wird in konkreten Körper- und Redepraktiken der alltäglichen Interaktion einerseits und populärer traditioneller Folklore andererseits eine binäre Dichotomie re-semantisiert, welche seit der christlichen (Wieder-) Eroberung der iberischen Halbinsel im Mittelalter sowohl sichtbar in der konkreten belebten Landschaft als auch unsichtbar in der kollektiven Erinnerung der Spanier verankert ist: Moros y cristianos – Christen und Muslime.

Ein besonders augenfälliges Bespiel dafür, wie diese Begegnung teils spielerisch karnevalesk, teils ernsthaft mimetisch kollektiv in Szene gesetzt wird, sind die spanischen Mauren- und Christenfeste (fiestas de moros y cristianos). Diese ritualisierten Scheingefechte wurden in Valencia im Zuge der (Re-) Conquista bereits im 12. Jahrhundert zum ersten Mal zelebriert. Bis heute werden sie, eingebettet in Feierlichkeiten zu Ehren der lokalen christlichen Heiligen, in ca. 300 spanischen Orten gefeiert. In Ihnen wird das in der Vergangenheit in die Territorien des Vertrauten eingedrungene muslimisch 'Andere' (dargestellt jedoch ausschließlich von Spaniern selbst) mittels symbolischer Wort- und Waffengewalt bezwungen und anschließend meist durch seine Konversion gleichsam in die lokale Gemeinschaft inkorporiert. Die öffentlichen Performanzen erinnern – unter Ausschluss der gegenwärtig präsenten muslimischen Immigranten – den historischen Sieg über die Mauren von Al'Andalus. Sie inszenieren dadurch, dass sie diesen Sieg ihren christlichen Schutzheiligen zuschreiben, eine quasi mythische Überlegenheit. Zugleich markieren sie in einem identitätspolitischen Akt der kulturellen Selbstvergewisserung stets aufs neue symbolisch das Eigene (Lo Cristiano), indem sie zentrale Momente der Konfrontation mit dem Fremden (Lo Moro) bzw. dessen Integration aufzeigt. In der 'Verkörperung' ihrer Selbst- und Fremdbilder schafft sich die lokale Gemeinschaft einen vorübergehenden Freiraum, ihre inneren Spannungen, sozialen Dramen, Brüche und Ambivalenzen zu thematisieren. Mit dem ritualisierten Erinnern der Siege der Vergangenheit erreicht sie gleichzeitig eine subordinierte Integration dessen, was in der Vergangenheit herausforderte, und heute erneut gegenwärtig zu sein scheint.

Dass Spaniens Auseinandersetzung mit seiner eigenen Geschichte im Grunde janusköpfig ist, zeigt sich darin, dass neben islamophoben Ressentiments ein sich dazu konträr verhaltendes Phänomen zu beobachten ist: die Wiedererweckung und enthusiastische Vermarktung seiner muslimischen Vergangenheit. Nachdem es seine nordafrikanischen Wurzeln lange Zeit verdrängt hatte, haben sich heute spezielle Formen supralokaler Diskurse über das gemeinsame muslimisch-christliche kulturelle Erbe des historischen Al'Andalus entwickelt. In südspanischen Städten wie Granada, Sevilla oder Córdoba und in ländlicheren Regionen wie den Alpujarra-Bergen südlich der Sierra Nevada, dem letzten Refugium der andalusischen Mauren bis Anfang des 17. Jahrhunderts, wird gegenwärtig gern ein maurisch-spanischer Lebensstil gepflegt, der sich aus verschiedenen, hybriden Formen synkretistischer Ästhetik, Architektur, Wohnkultur und einer neuen maurophilen Lust an der sinnlichen und intellektuellen Auseinandersetzung mit den Errungenschaften der arabischen Kultur speist.

Derartige nostalgische Strömungen und 'Nostrifizierungen' machen die mediterrane Kulturlandschaft Spaniens besonders attraktiv für Touristen, Konvertiten und Altersimmigranten aus Mittel- und Nordeuropa. Die aktuelle Popularisierung, Ästhetisierung und Kommerzialisierung des historischen Erbes stehen ebenso wie persistente kommemorative Praktiken der Volkskultur im Zeichen eines bewussten kreativen Identitätsmanagements, welches das Alte in neue Formen kleidet. Lokale und globale Kontexte beeinflussen sich dabei wechselseitig auf dynamische Weise.

Im Zentrum des Forschungsvorhabens steht das Mauren- und Christenfest in Válor, einem kleinen Ort in den Alpujarras. In langfristiger teilnehmender Beobachtung werden dort neben der sozialen 'Bühne' Fiesta ebenso auch diejenigen außerfestlichen Diskurse und sozialen Praktiken bezüglich des Eigenen und Fremden untersucht, dicht beschrieben und analysiert, die sich angesichts alltäglicher Begegnungen und sozialer Konflikte auf der Mikroebene des Lokalen generieren und in sozioökonomischen, religiösen oder identitätspolitischen Rhetoriken und Interaktionszusammenhängen erfassbar werden.

Der Brennpunkt des Interesses richtet sich auf die Konstruktionslogik, die soziale Wirksamkeit und Politisierbarkeit von Fremdbildern in einer lokalen Erinnerungskultur, an der angesichts der beschleunigten Lebensrhythmen, nervöser Erregtheiten und sich hybridisierender Lebensformen einer globalisierten Gegenwart beharrlich festgehalten wird.