Religiöse Spaltungslinien und der Klassenkompromiss in westlichen Demokratien
Abstract
Die zentrale Fragestellung dieses Projekts lautet: Welchen Beitrag haben nicht-ökonomische Spaltungslinien, insbesondere die Staat-Kirche-Cleavage, zu den ausgeprägten Unterschieden geleistet, die zwischen den westlichen politischen Ökonomien bestehen?
Der hauptsächliche Fokus des Projekts liegt auf den europäischen Wohlfahrtsstaaten und Schulsystemen. Ausgangspunkt des Projektes ist die Beobachtung, dass virulente Staat-Kirche-Konflikte im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert in den meisten Ländern Kontinentaleuropas zur Ausbildung von ‚parties of religious defence’ (Stein Rokkan) geführt haben (Ausnahmen: Frankreich, Spanien, Portugal). Das Fehlen eines vehementen Konflikts zwischen aufstrebendem Nationalstaat und Kirche in den skandinavischen Ländern erklärt das Fehlen solcher Parteien in Schweden, Norwegen, Finnland und Dänemark. In diesen homogen protestantischen Ländern fühlte sich die lutheranische Staatskirche – anders als die katholische Kirche in Kontinentaleuropa – nicht existentiell bedroht, als der Nationalstaat begann, zentrale, zuvor in kirchlicher Verantwortung liegende Aufgaben wie die Wohlfahrt oder die Schulerziehung zu übernehmen.
Den Platz, den christdemokratische Parteien in den Parteisystemen Kontinentaleuropas einnahmen, füllten in den Parteiensystemen Skandinaviens Agrarparteien, die Ausdruck der hier zur Zeit der Massendemokratisierung vorherrschenden Stadt-Land-Cleavage waren. Christdemokratische Parteien hingegen, von denen wir seit langem wissen, dass sie zentral für die Ausgestaltung der Wohlfahrtsstaatsregime und Schulsysteme in den Ländern, in denen sie vorkommen, waren, mobilisieren quer zum Klassenkonflikt und mussten daher interne Kompromissformeln für jenen Konflikt finden, der zentral für alle entwickelten Industriestaaten des Westen ist, der basale Arbeit-Kapital- oder sozioökonomische Links-Rechts-Konflikt.
In dem Projekt über die ‚religiösen Spaltungslinien’ geht es mithin um den vermittelnden Einfluss des religiösen Cleavages auf die Lösung des Arbeit-Kapital-Konflikts und auf den vielfältigen institutionellen Niederschlag, den die spezifische Form der Vermittlung in den politischen Ökonomien Westeuropas hatte.