Universität KonstanzExzellenzcluster: Kulturelle Grundlagen von Integration

Zeitmaschinen, Sakralautomaten, Frömmigkeitsapparate

Die Produktion sakraler Zeiten im Kirchenraum der Vormoderne

Michael Dengler

Abstract

Spätmittelalterliche und frühneuzeitliche „astronomische Monumentaluhren“ waren Spektakel im Kirchenraum. Sie galten als merk- und staunenswürdige Objekte, in denen Funktion und Illusion, Zweck und Spiel, schließlich Magie, Astronomie und Glaube auf komplexe Art und Weise miteinander verbunden waren. Die „astronomischen Monumentaluhren“ waren allerdings keine „Uhren“, sondern komplexe Zeitmaschinen, die eine Vielfalt verschiedenster Indikationen aufwiesen und für die performative Produktion und Darstellung ganz verschiedener Zeiten sorgten. Sie produzierten astronomische und kalendarische Zeiten sowie die Zeiten der Politik und jene der Heilsgeschichte – schließlich sogar die Ewigkeit selbst. Insbesondere die sakralen Zeiten der Heilsgeschichte wurden als automatisierte und mechanisch hergestellte Zeiten in Form von Figurenumläufen und automatisierten Figuren präsentiert. Als Zeitmaschinen vereinigten sie verschiedenste Zeiten – von der Minute bis zur Ewigkeit – an einem architektonischen Ort, veranschaulichten diese in ihrer Synchronität und machten sie in ihrer präsentischen Gleichzeitigkeit visuell und akustisch erfahrbar.

Neben den Zeitmaschinen gab es im vormodernen Kirchenraum noch weitere Sakralautomaten und Frömmigkeitsapparate, die der Produktion sakraler Zeiten und der Inszenierung von Wundern, Visionen und Offenbarungen dienten. Seit dem Spätmittelalter wurde die Himmelfahrt Christi durch eine langsam ins Himmels-Loch im Kirchengewölbe auffahrende Christus-Figur mechanisch inszeniert, Weihnachtskrippen und Ostergräber produzierten vornehmlich im 17. und 18. Jahrhundert die entscheidenden Zeitpunkte und Übergangsphasen heilsgeschichtlicher Überlieferung. Elementarmaschinen und Musikautomaten wurden im vormodernen Kirchenraum ebenso platziert wie sakrale Wissensmaschinen. Die Zeitmaschinen, Sakralautomaten und Frömmigkeitsapparate ermöglichten einerseits die gegenwärtige Erfahrbarkeit vergangener und zukünftiger Zeiten und boten andererseits die Mechanisierung des Sakralen als spektakuläre Inszenierung dar. Auge und Ohr wurde das automatisierte und damit gleichsam programmierte und programmierbare Heilsgeschehen präsentiert und vergegenwärtigt. Wie andere frühneuzeitliche Maschinen waren sie immer auch funktional und nützlich, doch vor allem waren sie spielerisch, rätselhaft und magisch-sakral – und damit in erster Linie Spektakel im Kirchenraum.

Seit dem Spätmittelalter verortete sich das Sakrale auch immer im Kontext seiner Zähl- und Mathematisierbarkeit einerseits sowie seiner Mechanisierbarkeit andererseits. Sakrales und Maschinelles, Frömmigkeit und Technik waren in Spätmittelalter und Früher Neuzeit keine Gegensätze, sondern gingen in bestimmten Konstellationen gleichsam symbiotische Wechselverhältnisse ein. Die Zeitmaschinen, Sakralautomaten und Frömmigkeitsapparate als komplexe Konfigurationen von Schrift, Bild, Ton und Zahl sind ein geeigneter Gegenstand, um technikgeschichtliche, religionsgeschichtliche sowie wissenschaftsgeschichtliche Perspektiven zu vereinen und so das Wechselverhältnis zwischen dem Technischen und dem Diskursiven, dem Ikonischen und dem Symbolischen, in dem Kulturen entstehen und sich reproduzieren, in den Blick zu nehmen.