Ambivalente Identitäten in Einwanderungsgesellschaften
Prof. Dr. Bernhard Giesen, Dr. Valentin Rauer, Yasemin Soytemel
Abstract
Im Zentrum des Projekts steht die Frage nach Übergangs- und Mittellagen zwischen kulturellen Gemeinschaften. Es wird davon ausgegangen, dass Mittellagen nicht per se eine problematische Form sozialer Integration darstellen, sondern eher den Normalfall. Allerdings werden ambivalente Identitäten unter spezifischen Voraussetzungen zu einem krisenhaften Phänomen. Eine entscheidende Voraussetzung bilden dabei die Sichtweisen externer Beobachter. Ob soziale Situationen als integrativ oder krisenhaft gelten, variiert je nach den vorausgesetzten Vorstellungen über kulturelle Grenzen.
Die klassischen Assimilationsmodelle setzen die kulturelle Grenze mit der Grenze des Nationalstaats gleich. Im Multikulturalismus gelten die innergesellschaftlichen ethnischen Grenzen als a priori. Im Unterschied zu diesen Positionen will sich das Projekt diesen Grenzvorstellungen selbst zuwenden. Dies erfolgt auf drei Ebenen: Auf der konzeptionellen Ebene sollen die Strukturbedingungen von Zwischenlagen herausgearbeitet werden. Auf der Meso-Ebene werden migrationspolitische Verbände zur Einwanderungs- und Religionspolitik nach ihren Vorstellungen über kulturellen Grenzen unter den Bedingungen öffentlicher Beobachtung untersucht. Auf der Mikro-Ebene wird schließlich nach der Rezeptionsseite, d. h. der Beobachtung der öffentlichen Medien durch die dritte türkisch-deutsche Einwanderergeneration gefragt. Mit einer gemischt quantitativen und qualitativen Methode werden hier die kulturelle Identifikationsfiguren und öffentliche Vorbilder erfasst und mit Blick auf ihre grenzsetzenden und -überschreitenden Muster analysiert.
Methodologisch schließen wir mit der empirischen Untersuchung an das Konzept der „Ethno- und Mediascapes“ bzw. der „Makroethnographie“ an (Appadurai 1991). Das Konzept systematisiert die Dissoziation von Gemeinschaftsgrenzen und Kulturgrenzen ohne sich mit dem Postulat einer Hybridisierung oder Kreolisierung von vermeintlich ehemals geschlossenen Kulturräumen zufrieden zu geben. Vielmehr wird der methodische Blick auf das Wechselverhältnis von historisch geprägten, lokalen Grenzstrukturen zu medial repräsentierten Entgrenzungsvorstellungen gelenkt.