Museale Narrative von „uns“ und den „Anderen“
Postkoloniale Museumsanalyse(n) in Deutschland und Südafrika
Abstract
Das Promotionsprojekt versteht sich als Beitrag zu einer postkolonialen Kulturwissenschaft, wie sich seit den 1960er-Jahren entwickelt hat. Im Zentrum des Projekts steht dabei die Frage, inwiefern Vorstellungen und Ideen aus der Periode des Kolonialismus noch immer Identitätspraktiken innerhalb der globalisierten Gesellschaft beeinflussen.
Das Projekt orientiert (und reibt) sich dabei an einer Programmatik, welche der Historiker Dipesh Chakrabarty unter dem Schlagwort Provincializing Europe in die Diskussion eingebracht hat und in welcher die Emanzipation der diversen globalen Gesellschaften von der Meister-Erzählung ‚Europa‘ gefordert wird. Der Vorschlag, Europa ‚zu provinzialisieren‘, birgt dabei ein enormes innovatives Potential. Chakrabarty zeigt nämlich nicht nur die Kernideen auf, die sich von Europa in andere Teile der Welt ausgebreitet haben, sondern beschäftigt sich auch mit den kulturellen Techniken, die zur Verbreitung dieser Vorstellungen beigetragen haben. Dazu zählt er neben den ‚modernen‘ literarischen Gattungen des Romans, der Biographie und der Autobiographie explizit die akademische Disziplin der Geschichtsschreibung. Diese hält er für ein Signum der Epoche der Entstehung von National-, Kolonial- und Imperialstaaten in Europa, die zur eigenen Legitimation auf diverse Strategien der Darstellung eines ‚Selbst‘ in konsequenter Abgrenzung vom ‚Anderen‘ setzten.
An dieser Stelle hakt nun das vorliegende Promotionsprojekt ein. Ausgehend von der Annahme, dass Museen vorrangig die Funktion erfüllen, Geschichte(n) zu ‚erzählen‘, die dem Zeitgeist entsprechen, soll versucht werden, nachzuvollziehen, welche Rolle museale Einrichtungen bei der Erzeugung und Aufrechterhaltung kolonialer Narrative gespielt haben und noch immer spielen. Dabei wird die These differenziert aufgearbeitet, dass das Museum eine ‚europäische‘ Einrichtung sei, welche in ihrer ‚modernen‘ Form erst durch die Expansion der Kolonial- und Imperialstaaten ihren Weg in außereuropäische Territorien gefunden habe. Museale Einrichtungen in den Kolonien dienten mithin dazu, das Selbstvertrauen der europäischen Siedler zu stärken und die hierarchischen Unterschiede zwischen den (herrschenden) ‚Europäern‘ und den (beherrschten) ‚Anderen‘ (pseudo-)wissenschaftlich zu legitimieren.
Ausgehend von der Diskussion dieser These soll die Entwicklung musealer Einrichtungen in Deutschland und Südafrika seit der Zeit des Imperialismus nachvollzogen werden, wobei die Ermittlung und Beleuchtung spezifischer, nationaler Meister-Narrative und ihre Auswirkungen auf den kolonialen Charakter der musealen Darstellungen in den Vordergrund gehoben werden. Die untersuchten Museen werden dabei allerdings nicht eindimensional als quasi-historische Quellen verstanden, sondern vor allem auf ihre aktuellen Inszenierungen hin befragt. Die Ausstellungen der Museen werden als ‚Erzählungen‘ in einem enger gefassten Wortsinn ernst genommen und mit den Mitteln der Narratologie untersucht. Auf dieser Ebene kommt auf der einen Seite den textuellen Elementen musealer Inszenierungen Bedeutung zu, zu denen etwa beschreibende und erklärende Texte zu einzelnen Objekten gehören. Auf der anderen Seite spielen aber auch Fragen der räumlichen Anordnung von Ausstellungs-Elementen eine Rolle sowie die Frage, wie ‚frei‘ sich der Betrachter innerhalb des Museums bewegen kann. Mithin wird also hinterfragt, ob und wie die Position des ‚Erzählers‘ im Museum artikuliert wird bzw. ob die Aktivität des ‚Erzählens‘ überhaupt deutlich expliziert wird. Eine nicht unerhebliche Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang kulturellen Zeichensystemen zu, die überhaupt erst die Grundlage dafür bilden, dass eine museale Inszenierung vollständig erfasst und somit verstanden werden kann. Eine Untersuchung der ‚Zeichensprache‘ von Museen ist vor allem deswegen lohnenswert, weil sich daraus erschließen lässt, wer ‚erzählt‘, für wen erzählt wird und wer oder was der Gegenstand der Erzählung ist.
Deutlich zeigt sich, dass der Untersuchungsgegenstand ‚Museum‘ zu vielschichtig ist, um allein mit einer spezifischen Methodik erfasst zu werden. Vielmehr muss auf Instrumente aus der Narratologie, der Kultursemiotik, der Geschichtswissenschaft und aus der (empirischen) Sozialwissenschaft zurückgegriffen werden. Das vorliegende Projekt bekennt sich damit zu einer interdisziplinär agierenden Kulturwissenschaft.
Gerade aufgrund der Vielschichtigkeit der Untersuchungsmaterie ist es vonnöten, klar zu artikulieren, dass das Projekt letztlich nicht eruieren kann, wie ‚das Museum‘ innerhalb der Gesellschaft ‚generell‘ funktioniert. Vielmehr werden die einzelnen untersuchten Museen in ihrer Einzigartigkeit ernst genommen. Das Vorgehen ist damit insgesamt als mikroskopisch und deutend zu bezeichnen – das Projekt beschränkt sich nämlich auf einen Aspekt (post)kolonialer Repräsentation (kulturhistorische, naturhistorische und politisch-zeitgeschichtliche Museen) und bewegt sich in klar definierten geographischen Räumen (Deutschland und Südafrika), versucht aber dennoch aus seinen Erkenntnissen Rückschlüsse auf globale Entwicklungen zu ziehen. Das Promotionsvorhaben versteht sich mithin als Baustein innerhalb einer postkolonialen Kulturwissenschaft, die sich der Frage verschreibt, wie die ‚Vorbildrolle‘ Europas in der Welt überhaupt konstruiert werden konnte.