Universität KonstanzExzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“

Makedonien im römischen Reich

Untersuchungen zu einer provinzialen Gesellschaft

Dr. Frank Daubner

Abstract


Die Provinz Macedonia war die erste römische Provinz im östlichen Mittelmeerraum. Sie unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von den übrigen östlichen Provinzen Roms. Diese Differenzen lassen sich so zusammenfassen, dass sich die politische und die materielle Kultur Makedoniens in der Prinzipatszeit wesentlich „römischer“ darstellt als etwa die Achaias oder Kleinasiens. Die Ursachen sind bisher ungeklärt.

Die Zeit von der römischen Eroberung 168/167 v. Chr. bis zum aktischen Sieg des Octavian gegen Antonius 31 v. Chr. ist die entscheidende Umbruchszeit gewesen, in der sich die provinziale Gesellschaft Makedoniens formierte. Diese fast eineinhalb Jahrhunderte vermitteln anhand der literarischen Quellen ein Bild von ständigem Chaos, Bürgerkriegen und Barbareneinfällen. In der althistorischen Forschung stellt sich dieser Eindruck nicht viel differenzierter dar. Wenn überhaupt, dann wird die frühe Provinz Macedonia im Rahmen der römischen Geschichte behandelt: Es geht um die Feldherren Roms, die die Zivilisation gegen die Einfälle nördlicher Barbaren verteidigen, um die Statthalter und Beamten Roms, die in Macedonia tätig waren, um die Bürgerkriege Roms, die zum großen Teil auf griechischem und makedonischem Boden ausgetragen wurden. Es geht kaum um Makedonien – das Land und seine Bevölkerung stellen lediglich eine der Bühnen dar, auf denen sich römische Geschichte abspielte. Die kaiserzeitliche Gesellschaft Makedoniens, die wir dann wieder vor allem anhand ihrer Inschriften und einzelner Bereiche der materiellen Kultur fassen können, ist eine durchaus andere als die der späten Königszeit, die wir ebenfalls einigermaßen gut kennen.

Meine Frage ist, wie die makedonische Gesellschaft der Kaiserzeit zustande kam. Um sie zu beantworten, betrachte ich das späthellenistische und frühkaiserzeitliche Makedonien aus einer Perspektive, die nicht die der römischen Geschichte und der innerrömischen Konflikte ist. Die fundamentale Demontage der Jahre 168/7 v. Chr. betraf nicht nur den makedonischen Staat, sondern auch die Gesellschaft in den sehr unterschiedlichen Ländern, die im Königreich und später in der großen makedonischen Provinz zusammengeschlossen waren. In den illyrischen und epirotischen Gebieten, ebenso im von der makedonischen Herrschaft befreiten Thessalien, kamen nun auf recht unproblematische Weise die romfreundlichen Parteiungen an die Macht.

In Makedonien gab es diese Römerfreunde nicht – anders als in den umliegenden Ländern gab es keine Gruppe, die die Macht von Roms Gnaden übernehmen konnte. Die alten Eliten waren größtenteils verschwunden: Von den 40.000 Makedonen des Heeres waren 20.000 gefallen und 11.000 gefangen; die königstreue Elite wurde nach Italien deportiert; vor der Deportation sind Tausende nach Ägypten und vor allem nach Kleinasien geflohen, wo nach 167 im Attalidenreich ein halbes Dutzend neuer makedonischer Städte gegründet wurde. Unter diesen Bedingungen einen Staat aufzubauen oder zumindest die Verwaltung aufrechtzuerhalten, wurde zwischen 167 und 148 v. Chr. erfolglos versucht, bis die Provinz Macedonia eingerichtet wurde.

Die Provinzeinrichtung erklärt die sozialen und kulturellen Wandlungen jedoch nicht hinreichend. Bekanntermaßen kam es der römischen Administration nicht darauf an, in den Städten Verwaltungsapparate zu installieren oder sich in innere Belange einzumischen. Zudem umfasste die Provinz ein riesiges und vielfältiges Gebiet von der Adria bis nach Thrakien. So mussten die Städte und Landschaften ihren je eigenen Weg finden, sich mit der neuen Situation zu arrangieren und die Ordnung aufrechtzuerhalten.

Ich werde in denjenigen Gebieten, die von der Provinzgründung bis zur Diokletianischen Provinzreform zur Provinz Macedonia gehörten, also in einem Bereich, der größer ist als das Kernmakedonien, das im makedonischen Koinon verbunden war, der Frage nachgehen, wie sich die neuen Eliten herausbildeten, die wir in der Kaiserzeit genauer fassen können.

In diesem Zusammenhang werde ich auch untersuchen, wie sich die politischen und sozialen Einheiten und Identitätsgruppen, aus denen sich die Provinz zusammensetzte, mit der römischen Herrschaft arrangierten. Dabei geht es nicht vorrangig um eine Quellensicherung und  zusammenstellung. Es werden vielmehr einige Deutungsangebote unterbreitet, um die zahlreichen Besonderheiten des römerzeitlichen Makedonien zu erklären. Im Anfang steht also die Frage, wie sich aus den heterogenen Identitätsgruppen der provinzialen Gesellschaft, die sich aus Makedonen, Griechen, Thrakern, Chalkidiern, Illyrern, Epiroten, Kleinasiaten, Italikern und Römern zusammensetzte, eine übergreifende „provinzialmakedonische“ Identitätsebene entwickelt, die dann schließlich im 2. Jh. n. Chr. zu einer makedonischen Renaissance in weiten Teilen der östlichen Reichshälfte – in Makedonien selbst, in Teilen Kleinasiens und in Syrien – führt. Zu diesem Zweck wird ein weites Spektrum an Quellen einbezogen sowie die gesamte Provinz unabhängig von den heutigen Staatengrenzen betrachtet, da wir die komplexen Vorgänge vor allem des 2. und 1. Jh. v. Chr. nicht anhand einzelner Zeugnisgruppen fassen können.