Abstract
Zur Herausbildung moderner Staaten gehörte der Aufbau einer Staatsverwaltung. Diese Entwicklungen wurden häufig beschrieben und gehören zum Grundwissen zahlreicher Disziplinen unter Einschluss der Rechtswissenschaft. Zumeist ging und geht es dabei um den „Normalfall“ einer Verwaltung gegenüber Personen, die als (Staats-)Bürger das personale Substrat des Staates darstellen und dessen Handeln demokratisch legitimieren. Dieser weitgehende Gleichklang von Verwaltungsadressat und Legitimationssubjekt ist keineswegs nur eine zufällige Erscheinung.
Im ausgehenden 19. Jahrhundert waren die Herausbildung moderner (National-)Staaten sowie die Definition eines Staatsangehörigkeits- und Fremdenrechts parallele Entwicklungen. Dies gilt für Deutschland (Ziekow 1997; Schönberger 2005) nicht anders als für Frankreich sowie die Vereinigten Staaten (Torpey 2000). Exemplarisch zeigt dies die Auseinandersetzung um die Beschäftigung von „Auslandspolen“ in der Landwirtschaft der preußischen Ostprovinzen, die als Initialzündung für ein staatliches System der präventiven Aufenthaltsgenehmigung wirkte (Thym 2010: 51-54) und damit den Ausgangspunkt für die Entwicklung des deutschen Ausländerrechts darstellt.
Bis heute befinden sich Ausländer im Vergleich zu Inländern gegenüber der Staatsverwaltung in einer besonderen Situation, wenn die zuständigen Behörden über die Einreise, den Aufenthalt sowie die Ausreise entscheiden. Der Vorwurf einer unangemessenen Behandlung speziell von Asylbewerbern oder Abschiebehäftlingen ist regelmäßig ein Gegenstand öffentlicher Debatten (klassisch Balibar 2001). Hierbei sorgten zuletzt die Aktivitäten der europäischen Grenzschutzagentur Frontex (Gammeltoft-Hansen 2011) sowie die – zwischenzeitlich ausgesetzte – Überstellung von Asylbewerbern von Deutschland nach Griechenland aufgrund der sog. Dublin-II-Verordnung für Aufsehen (Thym 2011).
Hinzu treten weniger umstrittene Aspekte wie die Förderung von Sprachkenntnissen mittels staatlich organisierter Integrationskurse als Neuerung des Zuwanderungsgesetzes (Bade 2005) und die aktive Anwerbung von qualifizierten Arbeitnehmern (Bundestag 2012). Hierbei erfahren Migranten nicht schon bei der ersten Begegnung mit der Verwaltung eine neue Behandlung. Im Laufe der Zeit erlangen die meisten Migranten immer mehr Rechte – bis hin zur Einbürgerung, die die rechtliche Gleichstellung als Staatsbürger bewirkt. Diese Vielfalt der Sachverhalte sowie die Option einer schrittweisen Gleichstellung prägen das deutsche und europäische Migrationsrecht als ein Prozess des Statuswandels (Thym 2010).
Der Wandel der Behördenkultur sowie des Ausländerrechts vom ordnungsrechtlichen Ansatz („Migrant als Fremder“) hin zu mehr Serviceorientierung infolge des Zuwanderungsgesetzes („Migrant als Kunde“) sowie die Option der Einbürgerung („Migrant als Bürger“) sind vergleichsweise gut erforscht – innerhalb und außerhalb der Rechtswissenschaft. Es fehlt jedoch ein Rahmen, der die Vielschichtigkeit und die Hybridisierung des Fremdenstatus deutlich macht und ihm eine Orientierung verleiht. Es geht um die Konstruktion des Gegenparts von Verwaltung/Bürokratie, deren Wesen wir nur dann richtig verstehen, wenn wir den “Gegenpart” mitdenken, der das Verhalten und auch die Sichtweise der Bürokratie immer auch mitkonstruiert.
Mein Vorhaben nimmt diesen Strukturwandel des Ausländerrechts sowie der Verwaltungspraxis zum Anlass für eine konzeptionelle Erfassung des Verhältnisses von Staatsverwaltung und Migrant, die für die künftige Behandlung von rechtlichen Einzelfragen einen Analyserahmen bereitstellt. Konzeptioneller Ausgangspunkt ist das Projekt einer kosmopolitischen Grundierung des Migrationsrechts. Es geht darum, die traditionelle Gegenüberstellung von In- und Ausländern zu relativieren und die Dichotomie zwischen „Fremden“ und „Bürgern“ in ein Kontinuum abgestufter Mitgliedschaftsrechte zu überführen, das als Grundlage für die institutionelle Neujustierung der Rolle von Verwaltung, Parlamenten und Gerichten im deutschen und europäischen Migrationsrecht dient.