Universität KonstanzExzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“

Die Auflösung der Bürokratie

Prof. Dr. Hans Christian Röhl

Abstract

Einem ondit zufolge bildet die „bureaukratisch-monokratische aktenmäßige Verwaltung“ die „Keimzelle des modernen okzidentalen Staats“. Der Auflösung des als Einheit gedachten Staates in übernationale und substaatliche Zusammenschlüsse folgt dementsprechend auch eine Neukonfiguration der administrativen Strukturen:

Während im klassischen Modell Bürokratie als Vollzugsinstanz für vorgegebenes Recht verstanden wird, lassen sich die neuen Vollzugsstrukturen nicht verstehen, ohne zu berücksichtigen, dass die Administration in großem Umfang selbst für die Normproduktion verantwortlich ist. Das liegt unter anderem daran, dass die gewissermaßen klassische Rechtssetzung viele Fragen aus Erkenntnis- und Wissensproblemen ungeregelt lassen muss. Die Erzeugung von vollzugsgeeignetem Wissen wird dann zu einer Voraussetzung des Regulierungserfolgs. Diese Einbeziehung von außerstaatlichen Erkenntnisquellen erlaubt zugleich die Internationalisierung nicht nur durch eine Ent-Politisierung, sondern auch durch abgestufte Formen der Verbindlichkeit, die den Übergriff in die Sphäre staatlichen Vollzugs als weniger intensiv erscheinen lassen.

Das klassische Modell der Bürokratie geht von der handelnden Verwaltung als geschlossener Einheit aus. Im Rahmen der Einbindung der nationalen Behörden in das (vor allem europäische) und internationale Verwaltungshandeln wird jedoch eine vergleichbare Einheit auf höherer Ebene nicht mehr hergestellt. Das gilt insbesondere für die Europäische Verwaltung, in der die Union in großem Umfang auf die Durchsetzung des Unionsrechts durch mitgliedstaatliche Behörden vertraut. Die europäischen Verwaltungen wachsen zu einem Behördennetzwerk zusammen, das Aufgaben und Funktionen übernimmt, die anderswo eine einheitliche Organisation zu erledigen hätte. Es bildet sich eine, vor allem verfahrensrechtlich hergestellte einheitliche Vollzugsstruktur, nicht aber eine neue Verwaltungseinheit heraus.

Parallele Entwicklungen spielen sich auf kommunaler Ebene ab. Hier sind es vor allem Formen kommunaler Zusammenarbeit, die als Handlungsebene an Bedeutung gewinnen: Kommunen werden weniger als bislang in der Lage sein, alle notwendigen Angebote autonom zu erstellen, vielmehr entsteht flächendeckend die Notwendigkeit, Angebote in kommunaler Kooperation zu erbringen. Hier wird es darum gehen, den Kern kommunaler Selbstverwaltung nicht lediglich in der eigenständigen Erledigung kommunaler Aufgaben zu sehen, sondern zumindest auch in der demokratischen Abstützung öffentlicher Leistungserbringung. Das Bild der selbstgenügsamen Kommune, die ihre Aufgaben mit eigenen Ressourcen, also Organisation, Personal und Entscheidungen erledigt und als solches theoretischen Überlegungen zugrunde liegt, muss modifiziert werden.

Angesichts der neuen Verwaltungsstrukturen stellt sich Frage, mit welchen Mechanismen eine demokratische Rückbindung des Handelns konstruiert werden kann. So ist die Verwaltungslegitimation im Europäischen Verwaltungsverbund notwendig mehrdimensional, europäische und mitgliedstaatliche Legitimationsstränge werden miteinander verknüpft. Die Verschränkungen und Vernetzungen der Administrationen in Europa führen zu einer zumindest deutlich erschwerten Zurechnung des jeweiligen Verwaltungsprodukts zu einzelnen Handlungsbeiträgen. Auf Dauer wird kein Weg daran vorbeiführen, über zusätzliche Legitimationsmechanismen nachzudenken, bei denen insbesondere Vertrauen, Transparenz und Partizipation eine maßgebliche Rolle spielen.