Polizeiarbeit in Afrika
Untersucht im Rahmen einer ‚Anthropologischen Kriminologie‘
Abstract
Seit gut einem Jahrzehnt gibt es mehr und mehr Forschung zu policing, Gerichten und Rechtssystemen in Afrika. Das Korpus ethnologischer, historischer, politikwissenschaftlicher und soziologischer Forschung fokussiert dabei hauptsächlich auf die Akteursgruppen oder Institutionen als separate Elemente des Strafjustizsystems:
- die Perspektiven und Strategien von Anzeigesteller und Angezeigten;
- die Techniken der Polizisten und Gendarmen, Anzeigen entgegenzunehmen und zu ermitteln;
- die Plädoyers und Büroarbeit von Staatsanwälten und Verteidigern;
- die Dilemmata von Richtern als Rechtsprecher;
- Strafvollzugseinrichtungen und die Haft und Rehabilitierung von Straftätern;
- die Rolle von Mittelmännern im Zugang von Zivilisten zu diesen unterschiedlichen Institutionen.
Wenig Beachtung fand bisher, was zwischen diesen Instanzen passiert. Aufbauend auf meinen Erfahrungen in Ghana und Niger möchte ich meinen Fokus gerade auf dieses Dazwischen erweitern: auf die bürokratischen Knotenpunkte und Übersetzungsprozesse zwischen den separaten Elementen einer Strafjustizkette.
Wie wird ein Ereignis aus der Vergangenheit von einer Anzeige in einen Kriminalfall übersetzt: von der Auflösung eines Ereignisses in Beweismitteln und Fakten, dem Feststellen und Definieren eines Verbrechens, seiner Übertragung in bürokratischen Akten, deren Re-Verbalisierung in Gerichtsverhandlungen und der erneuten Verschriftlichung in Urteilen, bis hin zu Praktiken des Strafvollzugs?
Die wesentlichen Fragen sind: Wie lässt sich der Gegenstand dieser Übersetzung bestimmen? Wie verändert er sich? Und welche sind die Referenzpunkte, die für jede Übersetzung notwendig sind? Im Kern handelt es sich hierbei um nüchtern bürokratisch-vermittelte Übersetzungen, die sich innerhalb eines normativen Rechts- und moralischen Rahmens abspielen. Und dieser Rahmen wird primär gesetzt von den Visionen, die die jeweiligen übersetzenden Akteure von sozialer Ordnung und einer idealen künftigen Gesellschaft haben, einer Gesellschaft die sie mit-konstruieren. Mit anderen Worten, der Rahmen wird gesetzt von den Antworten, die die Übersetzer auf drei Fragen geben:
- „Was ist gut?“ (Ethik);
- „Was ist angebracht?“ (situativer Pragmatismus);
- und als Gesetzesvollstrecker, nachdem das Gesetz mit den beiden ersten Fragen berichtigt wurde (Aristoteles epieikeia), „Was ist rechtens?“ (Legalität).
Diese Fragen betrachte ich als Teil einer politischen Anthropologie mit dezidiert kriminologischen Ambitionen – mit Jean und John Comaroff gesprochen: als ‚Anthropologische Kriminologie’, die ihren Fokus setzt auf die Kreuzungspunkte von Gesetz und Regieren, Sozialität und Souveränität.