„Wir gewinnen im Kleinen, und verlieren im Großen.“
Literarisierung von Geschichtsphilosophie um 1800
Abstract
Die im weitesten Sinne historiographischen Texte dreier aufklärerischer Autoren dienen in der projektierten Arbeit dazu, einen Anachronismus in der Interpretation dessen verständlich zu machen, was man naiv unter (deutscher) Geschichtsphilosophie der Aufklärungszeit versteht.
Betrachtet man Chr. M. Wielands „Beyträge zur geheimen Geschichte der Menschheit“, J. G. Herders „Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit“, seine späteren „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ sowie einige gesammelte geschichtstheoretische Schriften I. Kants, dann kann man ihre „Fortschrittlichkeit“ gegenüber einem Modell bemerken, das ihrem Vorhaben nachträglich den Titel und sein Paradigma „verlieh“: die Geschichtsphilosophie (insbesondere hegelianischer Provenienz).
Dabei diskutieren diese Texte die Fragen nach dem Verlauf menschlicher Geschichte sowie nach den Möglichkeiten ihrer Erforsch- und Erzählbarkeit auf hohem Niveau: auf einem Niveau, das man in der heutigen Zeit – seit Hayden Whites „Metahistory“ – als metahistoriographisch bezeichnen würde. In Abgrenzung zum hegelianischen Modell der Geschichtsphilosophie ist es bedeutsam, ihr narratives und reflexives Potential hervorzuheben und es genauer zu untersuchen.
Im Zuge dieser Untersuchung wird sich herausstellen, dass Temporalität sowohl als geschichtsphilosophisches Thema diskutiert wird – d.h. ihre Erscheinungsform innerhalb der Geschichte: als Fortschritt, Verfall, Linearität, Zyklizität u. dergl. m. – als auch als philosophische Grundkategorie. In Bezug auf diese apriorische Problematik ist es bemerkenswert, dass insbesondere die Narration selbst ein „Experiment“ im Blick auf die phänomenologischen Eigenschaften von Zeit darstellt. Die Erzählung diskutiert während ihres Vollzugs den Charakter der Zeit auf einer Metaebene, die sogar dem Inhalt der eigentlichen Erzählung oder den ihr formulierten Postulaten widersprechen kann.
In der Verschränkung phänomenologischer, poetologischer und vor allem metahistoriographischer Fragestellungen wird sich im Idealfall herausstellen, dass die untersuchten Texte die spätere disziplinär festgelegte Geschichtsphilosophie vorweggenommen haben, indem sie sie als „Reinform“ bereits mit den Mitteln narrativer Taktiken revidieren. Unter Verwendung literarischer/rhetorischer Techniken erzählen sie Geschichte, nicht ohne in einem Gestus der Selbstreflexion die Bedingungen und Möglichkeiten sowie die Grenzen dieses Unternehmens kritisch zu beobachten. Besonders die literarische Explikation (Form) dient hierbei dazu, eine reflexive „Überhöhung“ des so konkreten Themas „Geschichte“ zu relativieren.
Publikationen
Kristina Kuhn: Das augenfällig Geheime – Zur vermittelten Unmittelbarkeit spätaufklärerischer Historiographie. Wielands „Beyträge zu einer geheimen Geschichte der Menschheit“. In: Bettine Menke, Wolfgang Struck (Hg.): Wieland/Übersetzen. Sprachen, Gattungen, Räume. Berlin/New York: de Gruyter, 2010, S. 297-317.