Universität KonstanzExzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“

Bildlichkeit, Geld und Sozialität

Prof. Dr. Cornelia Bohn

Abstract

Die Studie „Bildlichkeit, Geld und Sozialität“ führt zwei bisher wenig systematisch verbundene Forschungsfelder zusammen: Das in den letzten beiden Dekaden wieder erwachte Interesse an finanzsoziologischen Fragen und die sich fast zeitgleich etablierende interdisziplinäre Bildforschung. Es identifiziert im einen wie im anderen Fall Forschungslücken und systematische Defizite, die sich in sozialwissenschaftlicher, präziser, in gesellschaftstheoretischer Perspektive erschließen.

So bleibt die wirtschaftssoziologische Forschung eigentümlich blind gegenüber dem Geldmedium selbst, das unter Bedingungen moderner Geldwirtschaft aber als und im Zentrum des wirtschaftlichen Geschehens fungiert. So führt die erfolgreiche Etablierung eines eigenen Feldes der Bildforschung allzu oft zu einer unfruchtbaren Separierung von darüber hinausgehenden Theorieentwicklungen in sozial- und kulturwissenschaftlichen Forschungsfeldern. Stattdessen versucht das Projekt „Bildlichkeit, Geld und Sozialität“ die Analyse von „Visuals“ im Sinne visueller Artefakte und visuelle Semantiken als konstitutiven Bestandteil in eine allgemeine Sozialitätstheorie zu integrieren, die auch das Medium Geld einschließt. Das zweite systematische Anliegen der Studie ist eine Synthese aus allgemeiner Sozialitätstheorie und Semantikanalyse. Auf der einen Seite geht es um eine Sozialitätstheorie, die Bildlichkeit und Sprachlichkeit resymmetrisiert, um diese in einen analytischen Zusammenhang mit anderen Medien – exemplarisch dem Geldmedium – zu stellen. Auf der anderen Seite geht es um die methodische Erweiterung der Semantikanalyse um die Dimension der Medien, einschließlich der „Visuals“.

Der sozialtheoretische Ausgangspunkt meiner Überlegungen ist der Befund einer tradierten Distinktion von optisch-visuell geführten (Simmel, Goffman, neuere interaktionistische Forschungen) versus am Sprachmedium orientierten Sozialitätstheorien (Mead, Luhmann), die sich zugleich durch Interaktionslastigkeit auf der einen Seite und Bildvergessenheit auf der anderen Seite auszeichnen. Weil es diese beiden Möglichkeiten der Fundierung des Sozialen gibt, läge es nahe, die Frage nach dem Potential des Bildlichen in die Tradition der optisch-visuell geführten Sozialitätstheorien einzufügen und diese angesichts gegenwärtiger gesellschaftlicher Lagen möglicherweise aus ihrer Interaktionslastigkeit herauszuführen.

Die Studie geht einen anderen theoretischen Weg und plädiert für eine gesellschaftstheoretische Analyse zeitgenössischer und historischer Semantik, die sprachlich-narrative, visuell-bildliche und symbolisch generalisierte soziale Artefakte nicht voneinander isoliert oder gegeneinander privilegiert, sondern analytisch integriert bearbeitet. Exemplarisch werden Bildlichkeit und das Geldmedium semantisch und systematisch untersucht, weitere Vergleichshorizonte werden berücksichtigt.

Um die Frage zu behandeln, wie Bildlichkeit und Sozialität systematisch verknüpft sind und welche Potentiale des Bildlichen sich daraus ergeben, schlägt die Studie ein Konzept vor, das Bildlichkeit auch nicht anthropologisch als Blick- oder Sehpraxis auffasst, sondern als soziale und kulturelle Sinnform, die in ihrer Artefaktabhängigkeit selbst Ereignis und Bestandteil sozialer Operativität ist und erst in einer kommunikativen Sphäre des Sozialen entsteht. Dies kann bereits auf der noch an Kopräsenz gebundenen Ebene vokaler, deiktischer und ikonischer Gesten gezeigt werden, wird aber besonders evident mit der Herausbildung rekursiver visueller Formen und der Genese spezifisch visuellen Wissens, das in allen gesellschaftlichen Subsystemen – auch der Ökonomie oder der Kunst – wirksam ist.

Mit der Bildlichkeit als kulturelles Faktum teilt das Geldmedium die Kapazität der symbolischen Verdichtung, die im Fall des Geldes ein eigenes gesellschaftliches Subsystem konstituiert. Die angestrebte Synthese aus allgemeiner Sozialitätstheorie und Semantikanalyse wird durch die Untersuchung exemplarischer semantischer Komplexe geschehen, die im Falle des Geldes die Geldschöpfung, die kreditäre Verdopplung des Geldes sowie die Selbstbezüglichkeit des Geldmediums reflektieren.