Bischofsmacht und politische Herrschaft in der Spätantike
Zwischen etwa 400 und 600 n. Chr. kam es im gesamten Mittelmeerraum zu tiefgreifende Veränderungen auf den unterschiedlichen Feldern des politischen, sozialen, wirtschaftlichen, religiösen und kulturellen Lebens. Wer sich mit dieser Transformation von der spät- zur poströmischen Welt befasst, kommt an den Bischöfen nicht vorbei. Seit der Mitte des 4. Jh. begannen sie sich als Leiter nicht nur der kirchlichen, sondern auch der städtischen Gemeinden zu etablieren und traten damit in Konkurrenz zu den traditionellen munizipalen Eliten. Die kirchliche Hierarchie und ihre synodalen Strukturen boten ferner Möglichkeiten zur überlokalen und -regionalen Vernetzung und damit auch Angehörigen der Reichsaristokratie attraktive Alternativen zum Engagement in der Reichsadministration. Die damit verbundenen kirchenpolitischen Aktivitäten reichten bis hinauf zum Kaiser bzw. den Königen in den poströmischen regna und eröffneten den Bischöfen phasenweise erhebliche Einflussmöglichkeiten auch auf die Spitze des politischen Systems.
Diese allgemeine politische Bedeutungszunahme des Bischofs in der Spätantike ist regional unterschiedlich verlaufen und folgte unterschiedlichen Entwicklungsdynamiken. Im Osten des Reichs blieben die administrativen und politischen Strukturen des Imperiums bis ins späte 6. Jh. hinein weitgehend intakt. Die Bischöfe agierten dort im Rahmen einer funktionsfähigen Zivilverwaltung – sowohl auf der städtischen als auch auf der Reichsebene. Der Westen des römischen Reichs war hingegen seit der Wende vom 4. zum 5. Jh. in deutlich stärkerem Maße als der Osten einer politischen Desintegration des Imperiums, dem Zerfall der zivilen Administration und einer regionalen Militarisierung der Eliten ausgesetzt. Unabhängig von den äußeren politischen Rahmenbedingungen ist jedoch in beiden Hälften des Mittelmeerraums ein kontinuierlicher Zuwachs an bischöflichen Handlungsspielräumen zu verzeichnen. Die Quellen bezeugen ein umfassendes Spektrum an Aktivitäten, das von der Vermittlung in innerstädtischen Konflikten, karitativen Leistungen und der Versorgung der Bevölkerung über städtische Bau- und Verteidigungsmaßnahmen bis zur Vertretung der Städte gegenüber militärischen Machthabern und dem Freikauf von Gefangenen reicht.
Trotz einer großen Zahl an diesbezüglichen Einzelstudien fehlt es an überzeugenden Versuchen, das Phänomen bischöflicher Macht und Herrschaftsbildung selbst zu konzeptualisieren und zeit- wie raumübergreifend für den gesamten Mittelmeerraum zwischen dem 4. und frühen 7. Jh. in den Blick zu nehmen. Dass die Quellen bischöflicher Autorität nicht in delegierten oder usurpierten Herrschaftsrechten zu suchen sind, sondern in der gesellschaftlichen Macht, die sie für sich beanspruchen konnten, kann zwar mittlerweile als weitgehend akzeptiert gelten. Offen bleibt allerdings, wie stark die Stellung des Bischofs sich in die jeweiligen und differenten Kontexte politischer Kultur einfügte.
Der überwiegende Teil der Forschung geht davon aus, dass diese Rahmenbedingungen für die Ausformung bischöflicher Autorität prägend gewesen seien: Das institutionelle Profil der Bischöfe als Richter und Schlichter in zivilen und innerkirchlichen Konflikten habe sich eng an den Schiedsverfahren der römischen Rechtskultur orientiert; karitative Tätigkeiten der Bischöfe und ihre Baustiftungen werden als „christlicher Euergetismus“ in der Tradition vergleichbarer Leistungen gesehen, die von den städtischen Eliten schon seit dem Hellenismus und der frühen Kaiserzeit vorgenommen wurden. Gleiches gilt für die Selbstdarstellung und den Habitus der Bischöfe, die – vor allem im Westen des römischen Reichs – an die Selbstmodellierung ziviler Eliten angeknüpft und auf diese Weise ein nahezu bruchloses „Fortleben“ römischer Kultur in den germanischen Königreichen ermöglicht hätten.
Diese insgesamt vorherrschende Tendenz, Genese und Ausformung bischöflicher Autorität aus den kulturellen Rahmenbedingungen spätantiker und poströmischer Herrschaftsbildung heraus zu erklären, vermag freilich in wesentlichen Punkten nicht zu überzeugen. Bei aller kulturellen Bedingtheit zeigt sich auf zahlreichen Handlungsfeldern, dass die spätantiken Bischöfe im Westen wie im Osten des Imperiums einen ganz eigenen, neuartigen Autoritätstyp formten, der zwar einerseits an traditionelle Praktiken und Tätigkeitsbereiche anschloss, sie aber andererseits entscheidend transformierte, da in zahlreichen Kontexten bischöflicher Autoritätsbildung (karitative Armenfürsorge, richterliche Tätigkeiten, diplomatische Aktivitäten) eine Distanzierung aus innerweltlichen Handlungszusammenhängen und sozialen Handlungsbegründungen erfolgte.
Die Forschung hat sich den Blick auf diese Differenzen zum Teil selbst verstellt, da sie entsprechende Diskurse nicht ernst genommen und eine Eigenlogik von Handlungen unabhängig von der Deutung und Wahrnehmung der historischen Akteure postuliert hat. Das geplante Projekt setzt an dieser kategorialen Andersartigkeit bischöflicher Macht und Herrschaftsbildung an und fragt danach, wie es den Bischöfen zwischen dem 4. und frühen 7. Jh. medial und performativ gelang, durch Liturgie, hagiographische Texte, Predigten, Briefe und Konzilskanones eine Vorstellung vom Bischof und seiner Autorität zu erzeugen und gegenüber alternativen Machtdispositiven und Formen der Herrschaftsbildung durchzusetzen. Dabei sollen auch die möglichen Rückwirkungen dieses Prozesses auf den breiteren Kontext von Herrschaftsbildung thematisiert und unter dem Aspekt diskutiert werden, inwieweit die spätantike und frühmittelalterliche Bischofsherrschaft einer Christianisierung und Episkopalisierung der politischen Kultur insgesamt Vorschub leistete.