Universität KonstanzExzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“

Zwischen Triumph und Katastrophe

Transformationen oströmischer Monarchie im frühen 7. Jahrhundert

Nadine Viermann

Abstract

Im frühen 7. Jh. verließ der römische Kaiser Herakleios als erster Monarch seit über zweihundert Jahren seine Hauptstadt Konstantinopel, um persönlich an der Spitze seiner Truppen in den Krieg gegen die Perser zu ziehen. Das Projekt untersucht die Voraussetzungen der damit einhergehenden diskursiven wie praktischen Neuorientierung hinsichtlich der Positionierung des Kaisers sowie deren Folgen für die Entwicklung spätrömischer Monarchie.

Seit der Herrschaft des Kaisers Arkadios (395–408) entwickelte sich im Osten des Römischen Reiches ein „hauptstädtischen Kaisertums“, das von Historikern durch die enge räumliche, praktische und ideologische Bindung des Monarchen an seine Hauptstadt Konstantinopel charakterisiert wird. Eine derartige Konfiguration ermöglichte es, die prekäre Position des römischen Kaisers weitgehend zu stabilisieren.

Zu Beginn des 7. Jahrhunderts änderte sich dies jedoch grundlegend: Mit Herakleios (610–641) verließ erstmals seit über zweihundert Jahren ein römischer Kaiser Konstantinopel, um persönlich an der Spitze seiner Truppen in den Krieg gegen den persischen Großkönig Chosrau II. zu ziehen, der große Teile der östlichen Provinzen erobert hatte. Nach einem glorreichen Sieg über das persische Heer gelang Herakleios im Jahre 630 ein weiterer Coup, indem er als erster christlicher Kaiser die Heilige Stadt Jerusalem besuchte, um dort die zuvor von den Persern geraubte Kreuz-Reliquie mit einer Geste von höchstem symbolischen Gehalt an ihren angestammten Platz zu restituieren.

Doch Herakleios war es nicht vergönnt, seine Erfolge zu verstetigen: Nur wenige Jahre später überrannten die Muslimischen Araber die östlichen Provinzen bis an die Grenzen Anatoliens – ein Gebietsverlust, den das oströmische Reich nie wieder würde rückgängig machen können.

Der Paradigmenwechsel unter Herakleios soll im historischen Rahmen längerfristiger krisenhafter Entwicklungen untersucht werden, verdeutlicht nicht nur anhand der plötzlichen Erfolge der persischen und arabischen Heere, sondern besonders anhand der im frühen 7. Jahrhundert gehäuft auftretenden Usurpationen als Endpunkt einer Phase von gewisser innerer Stabilität im Oströmischen Reich. Derartige strukturell bedeutsame Umstände erschütterten die Gültigkeit des ‚hauptstädtischen Kaisertums‘ und machten neue Formen monarchischer Repräsentation erforderlich.

In diesem Zusammenhang wohnt der Herrschaft des Herakleios eine spezielle Signifikanz für das Verständnis spätrömischer Monarchie inne. Denn seine offensive (Re-)Militarisierung des Kaisertums stand in deutlichem Kontrast zu früheren Modellierungen der monarchischen persona, genauer gesagt zu den liturgischen Interaktionsformen und sakralen Deutungsmustern, die die erfolgreiche Verankerung des Kaisers in der Hauptstadt Konstantinopel kontinuierlich begleitet und unter Justinian (527–565) ihren Höhepunkt gefunden hatten.

Das Forschungsprojekt fragt nach den Voraussetzungen dieser Neuorientierung unter Herakleios, nach den dabei aufkommenden Spannungen zwischen bestehenden Verhaltenserwartungen und innovativen Deutungsmustern sowie schließlich nach den Folgen für die Entwicklung spätrömischer Monarchie. Dabei stehen im Fokus der Untersuchung die Praktiken und Diskurse, vermittels derer Kaiser Herakleios seine neuerliche Hauptstadtferne gegenüber den maßgelblichen Akzeptanzgruppen im Reich plausibilisierte und in diesem Zuge die kaiserliche persona remodellierte.

Die vielfältigen Quellen zur Regierungszeit des Herakleios ermöglichen differenzierte diachrone Einblicke in unterschiedliche kommunikative Kontexte und erlauben die Rückbindung der untersuchten Diskurse an konkrete Ereigniszusammenhänge. Entgegen der Tendenz der Forschung, unter Justinian den Höhe- und gleichzeitig Endpunkt der diskursiven Fundierung oströmischer Monarchie anzunehmen, wird das Projekt den Fokus auf die transformativen Prozesse der nachjustinianschen Zeit richten. Während das 7. Jahrhundert bislang primär aus der Perspektive der Byzantinistik erforscht wurde, soll es in diesem Zuge auch für die Alte Geschichte erschlossen werden, um den Blick auf das Gesamtphänomen spätantiker Alleinherrschaft zu weiten und dabei den Anschluss zwischen Spätantike und Byzanz zu schaffen.