Globaler Rechtspluralismus und Internationales Privatrecht
Abstract
Der vor über 100 Jahren geprägte Begriff des Rechtspluralismus hat durch die Globalisierung neue Wirkkraft erhalten. Es besteht heute eine ungeheure Vielzahl an staatlich und privat gesetzten Regeln. Private Akteure bewegen sich nahezu ungehindert von einer Rechtsordnung zur anderen; dies geschieht oftmals unter Ausnutzung eines Rechtsgefälles, etwa in Form geringerer Haftungsstandards. Die Frage, welchem Rechtsregime diese Akteure unterstehen, beantwortet das Internationale Privatrecht (IPR) durch die Technik der Verweisung. Es enthält sich grundsätzlich eigener Wertungen und ist jedenfalls im Ausgangspunkt neutral. Diese Ergebnisblindheit kann dazu führen, dass privates Verhalten nach einer Rechtsordnung beurteilt wird, welche Fehlverhalten sanktionslos stellt. Besonders deutlich zeigt sich dies bei Verstößen gegen die universell geltenden Menschenrechte.
Das IPR verfügt über ein fein gesponnenes, hochkomplexes System von Verweisungen und Anerkennungsmechanismen, bewegt sich aber damit letztlich insoweit nur auf einer Ebene der globalen Rechtsvielfalt, als es im Kern ausschließlich staatlich gesetztes Privatrecht in den Blick nimmt. Es läuft damit Gefahr, marginalisiert zu werden. Dies liegt zum einen daran, dass seine ausgefeilte Systematik von den maßgeblichen institutionellen Akteuren – vor allem den Gerichten – nicht mehr ausreichend wahrgenommen und umgesetzt wird. Zum anderen, und dass ist hier die zentrale Problemstellung, weil es die Vielfalt der im globalen Rechtspluralismus bestehenden Rechtsquellen nicht hinreichend zu berücksichtigen vermag.
Es ist Ziel des Forschungsprojekts, einen Beitrag zu einer Kollisionsrechtsverfassung im globalen Rechtspluralismus zu leisten. Ausgangsthese ist dabei, dass das moderne Kollisionsrecht über ein so großes Erfahrungsreservoir verfügt, dass dessen Steuerungspotential auch in einer immer vielfältiger werdenden Rechtswirklichkeit genutzt werden sollte. Es geht also nicht um eine Neuschreibung eines „Regime-Kollisionsrechts“ für ein fragmentiertes globales Recht in seiner Gesamtheit.
Vielmehr nimmt das Forschungsprojekt die Perspektive des IPR ein und formuliert Bedingungen für eine Öffnung für außerprivatrechtliche Wertungen und Zusammenhänge, um so einen Beitrag zu einer Verfassung des Kollisionsrechts zu leisten. Die Vorgehensweise ist dabei zunächst rechtsdogmatischer Natur, indem sie bestehende Kollisionsrechtsnormen in ihrer Auslegung durch die Rechtspraxis als Grundlage einer Analyse des Verweisungssystems heranzieht. Darin spiegelt sich die Besonderheit der Rechtswissenschaft, Recht vor allem in seiner institutionellen Prägung zu begreifen.
Gleichzeitig wird auf die Methode der Rechtsvergleichung zurückgegriffen, hier in der speziellen Unterart der Kollisionsrechtsvergleichung, die vor allem die kategorial verschiedenen Herangehensweisen des kontinentaleuropäischen IPR Savigny’scher Prägung und des US-amerikanischen conflict of laws-Ansatz mit seinen weiten Ermessensspielräumen in den Blick nimmt. Die jeweils dahinter stehenden Interessen und Wertungen sollen offengelegt werden und fließen in die Idee einer Kollisionsrechtsverfassung mit ein.