Universität KonstanzExzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“

Doing Social Research

Eine ethnomethodologische Untersuchung ethnografischer Arbeit

Christian Meier zu Verl

Abstract

Die vorliegende Dissertation untersucht das methodologische Problem adäquater sozialwissenschaftlicher Beschreibung sozialer Wirklichkeit (umfassend) empirisch. Dieses methodologische Problem bezeichnet ein Phänomen sozialwissenschaftlicher Beschreibungen, die sich mit ihrem Entstehen sowohl von lebensweltlichen Beschreibungen abgrenzen als auch auf sie (erneut) bezogen werden müssen, um als sozialwissenschaftlich adäquate Beschreibungen sozialer Wirklichkeit zu gelten.

Wie im Alltag der Sozialwissenschaftler lebensweltliche Beschreibungen in sozialwissenschaftliche Beschreibungen praktisch transformiert werden, ist ein Desiderat methodologischer Forschung, das mit dieser ethnomethodologischen Untersuchung ethnografischer Arbeit (teilweise) geschlossen wird. Der Alltag der Sozialwissenschaften wird entlang einer Entstehungsgeschichte („Daten-Karriere“) zweier ethnografischer Daten empirisch untersucht.

An das methodologisch formulierte Problem adäquater sozialwissenschaftlicher Beschreibung sozialer Wirklichkeit anschließend wird daher gefragt, wie ethnografische Daten im Alltag der Wissenschaftler entstehen und was die empirisch beobachteten situiert verkörperten Arbeiten zu ethnografischen Arbeiten machen. Der mit der hier vorliegenden ethnomethodologischen Untersuchung gewählte methodologische Zugang zum Phänomen situiert verkörperter ethnografischer Arbeit kann auch als „Ethnografie der Ethnografie“ bezeichnet werden. Eine methodologische Reflexion dieser Vermischung von Thema und Ressource des Forschens wird selbst auch konsequenterweise als eine empirische Untersuchung der eigenen situiert verkörperten Arbeiten vorangetrieben.

Damit wird entgegen bisheriger methodologischer Überlegungen über Ethnografie und ethnografische Beschreibungen ein dezidiert empirischer Blick auf die situiert verkörperte Arbeit des ethnografischen Beschreibens sozialer Wirklichkeit eröffnet, die sich selbst praktisch methodisch an dem Beschreibungsproblem orientiert. In den empirisch rekonstruierten „Daten-Karrieren“ zeigt sich, dass entlang verschiedener beobachteter Karriereschritte (vom Proto-Datum zum Daten-Kandidaten und letztlich über die Kandidatur zum anerkannten Datum), die ursprüngliche verkörperte ethnografische Erfahrung einer sozialen Situation reflexiv, aber auch präreflexiv in Beschreibungen transformiert wird. D.h. auch, dass diese Beschreibungen inkrementell aus ihrem lebensweltlichen Kontext herausgelöst und zugleich in einen sozialwissenschaftlichen Kontext überführt werden.

Die in diesem Zusammenhang beobachteten verkörperten Formen des De- und Rekontextualisierens von lebensweltlich pragmatischen hin zu sozialwissenschaftlich relevant erscheinenden Problemstellungen vollziehen die teilnehmend beobachteten Ethnografinnen u.a., indem sie die ursprüngliche, ethnografisch erfahrene Situation analytisch performativ „wiederholen“. Dieses performative „Wiederholen“ oder „Reinszenieren“ von im Feld miterlebten Situationen charakterisiert die untersuchten situiert verkörperten Arbeiten als ethnografische Arbeiten, die auch nach dem ursprünglichen Erfahren eines flüchtigen sozialen Geschehens, „dieses Geschehen“ durch ein „Reinszenieren“ ex post factum, und so häufig es situiert relevant erscheint, für sich und andere praktisch analytisch erfahrbar machen.

Dieses Phänomen wird zusammenfassend auch als ein „each another next time through“ – in Anlehnung an die Formulierungen von Garfinkel, Lynch und Livingston – beschrieben, mit dem die beobachteten Ethnografinnen „ethnografische Situationen zweiten Grades“ für ihre situiert analytischen Zwecke immer wieder performativ herstellen und durchleben können. Die hier vorliegenden ethnomethodologischen Untersuchungen ethnografischer Arbeit gehen jedoch in einem zweiten Teil über den zuvor skizzierten methodologischen Rahmen der Ethnografie hinaus, indem die rekonstruierten situiert verkörperten ethnografischen Arbeiten mit Blick auf das praktische Herstellen wissenschaftlicher Güte qualitativer Sozialforschung empirisch untersucht werden.

Zum Beispiel zeigt sich, dass der Prozess des kommunikativen Validierens, in dessen Verlauf die Konstrukte zweiten Grades durch die erforschten Akteure als adäquat verifiziert werden sollen, selbst wiederum durch die Ethnografinnen in ethnografische Beschreibungen überführt werden müssen. Diese Beschreibungen unterliegen dann aber ebenfalls dem sozialwissenschaftlichen Beschreibungsproblem und müssten letztlich auch kommunikativ validiert werden. Im hier vorliegenden empirischen Fall wird jedoch von den Ethnografinnen ein solcher infiniter Regress nicht vollzogen, sondern nach einem erstmaligen situiert interpretierten „kommunikativen Validieren“ praktisch unterbrochen.

Die vorliegende Dissertation leistet in diesem Sinne v.a. einen (ethno-)methodologischen Beitrag, indem sie situiert verkörperte ethnografische Arbeiten empirisch sichtbar macht und damit über das präreflexive, implizite und verkörperte Wissen der Ethnografie soziologisch aufklärt.