Shakespeare in Series
Abstract
Das Forschungsprojekt untersucht die Bezüge zwischen Shakespeares Dramen und aktuellen, narrativ komplexen Fernsehserien, dem sogenannten ‚complex TV‘ (Mittell). Das Erkenntnisinteresse von Shakespeare in Series richtet sich auf die kulturwissenschaftliche Fragestellung, welche Aspekte der frühneuzeitlichen Shakespeare-Dramen in den Fernsehserien in welcher Form neu verhandelt werden, welche ‚kulturellen Energien‘ des frühneuzeitlichen Stoffes produktiv sind für die aktuelle politische, kulturelle und ästhetische Relevanz der Serien.
Im Sinne des ‚New Formalism‘ wird Shakespeare in Series methodisch die Erforschung der kulturell-politischen Rolle der Dramen und Serien mit der formal-ästhetische Frage nach der Funktion von Serialisierungsstrategien, die auch bereits Shakespeares Dramen kennzeichnen, verschränken. Ein Anliegen ist somit die Frage, wie sich das derzeit virulente und als postmodern kategorisierte Phänomen der Serialität historisch und gattungs- bzw. medienspezifisch perspektivieren lässt und welche Einsichten in Shakespeares Dramaturgien ein seriell geschulter Blick erlaubt.
Im Zentrum des Interesses stehen dabei die Serien Homeland (seit 2011 bisher sechs Staffeln bei Showtime) und House of Cards die britische BBC-Fassung der 1990er Jahre und die amerikanische Neufassung seit 2013 in bisher fünf Staffeln bei Netflix), die auf Shakespeares Richard III (1592/1593), Macbeth (1606) und Coriolanus (1608) rekurrieren. Während die Produktionsteams von House of Cards mehrfach auf die Relevanz von Richard III für Plot und Struktur der Serie hingewiesen haben und die Serie durch Zitate intertextuell auf Shakespeare verweist, ist die Verbindung zwischen Coriolanus und Homeland ungeklärt. Methodisch lässt sich dieser Bezug als nicht explizit markierter Einfluss des kulturellen Erbes Shakespeares plausibilisieren, wie dies beispielsweise Marjorie Garber in ihren programmatischen Studien Shakespeare and Modern Culture und Shakespeare After All postuliert, in denen sie Shakespeare als „uncanny prognosticator – or emplotter – of the twentieth century“ (Modern Culture xxv) liest.
Mit Marjorie Garber ließe sich also argumentieren, dass die „uncanny modernity“ von Shakespeares Dramen auch daher rührt, dass sie durch ihren breiten kulturellen Einfluss die Moderne entscheidend mitgeprägt haben, und dass daher beispielsweise Coriolanus archetypisch ist für heutige Interpretationen des schwierigen Übergangs von militärischen zu politischen Führungsrollen:
“Thus, for example, when a political columnist in a major newspaper, describing a war hero entering politics, writes of ‘the Coriolanus role-shift problem’ […], he is describing both the way a general resembles a Shakespearean hero and the way Shakespeare has shaped our ideas of military and cultural heroism“ (Shakespeare After All 776-7).
Es ist ein Ziel des Projekts, diese kulturellen Übertragungswege genauer zu rekonstruieren. Dabei sollen als Brückenproduktionen Bühneninszenierungen, Spielfilm- und Fernseh(serien)versionen der Shakespeare-Dramen in die Untersuchung einbezogen werden.
Indem das Projekt die Fernsehserien in Bezug zu den Dramen und deren Bearbeitungen durch die Jahrhunderte setzt, liest es Shakespeare ‚in series‘, als Wiederholung mit Differenz. Elisabeth Bronfen hat für ihren alternativen methodischen Zugriff des ‚crossmapping‘ serielles Lesen als ein heuristisches Lektüreverfahren beschrieben, das „Bilder, Erzählungen, Denkfiguren seriell in einen Dialog miteinander […] [setzt], und sich somit unerwartete Entdeckungen ergeben“ („Vorwort“ in Noch einmal anders. Zu einer Poetik des Seriellen 8).
Shakespeares Dramen seriell zu lesen bedeutet ein doppeltes, in beide Richtungen gehendes Erkenntnisinteresse, da zu zeigen sein wird, welche kulturellen, historischen und ästhetischen Einblicke in Shakespeares Dramen sich über die Lektüre der aktuellen Fernsehserien gewinnen lassen und wie sich in umgekehrter Perspektive Form und Inhalt der Serien durch die historische Tiefendimension anders verstehen lassen.
Diese historische Tiefendimension reicht hinter Shakespeares Werk zurück, das selbst in Serie mit seinen Quellen zu lesen ist. So fungiert beispielsweise das von Plutarch skizzierte Rom in Shakespeares Coriolanus als ambivalenter Herkunftstopos: Für die Elisabethaner und Jakobäer war Rom einerseits Legitimationsreferenz, denn sie verstanden sich im Rahmen einer translatio imperii als seriell mit dem antiken Rom verbunden, andererseits aber auch eine Kontrastfolie, vor allem wegen der religiösen Differenz zum antiken Rom und der Opposition Englands gegen die römisch-katholische Kirche im Zuge der Reformation.
Auch in Homeland und House of Cards ist Rom als Bezugsgröße komplex codiert, insbesondere im Hinblick auf die Frage, ob eine imperiale Macht demokratisch verfasst bleiben kann. Durch die intertextuelle Reihung spielt also die Diskursgeschichte der Begriffe der Nation und des Imperiums eine zentrale Rolle für die Analyse, und gerade die Rom-Referenz kann hier als „Krisendiskurs“ (Huhnholz) gelesen werden, der der Rückversicherung in politischen Transitionsphasen dienen soll, zugleich aber zum Indikator und Multiplikator dieser Krisenhaftigkeit wird.