Universität KonstanzExzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“

Narrative der Integration in der deutsch-türkischen Literatur und im Film

Eine andere deutsche Literatur- und Kulturgeschichte

Dr. Özkan Ezli

Abstract

In meiner Arbeit geht es mir darum, mit Blick auf die deutsch-türkische Kulturproduktion in Literatur und Film – von ihren Anfängen in den 1960er Jahren bis heute – eine andere deutsche Literatur- und Kulturgeschichte zu schreiben. Mit der „anderen“ Geschichte ist nicht eine Geschichte aus der Peripherie der Gesellschaft oder eine additiv zur deutsch-deutschen Kulturgeschichte hinzutretende gemeint. Vielmehr schreibe ich eine Geschichte, die die deutschsprachige Kulturproduktion insgesamt neu perspektiviert. Im Mittelpunkt stehen die Gestaltung und Bearbeitung der türkischen Migration nach Deutschland und ihre Folgen.

Ein zentrales Ergebnis meiner Arbeit ist, dass gesellschaftspolitische und ästhetische Narrative in einem weitaus engeren und zugleich komplexeren Verhältnis zueinander stehen als bislang angenommen. Wenn sich nämlich in den Integrationsdebatten die Redeweisen ändern oder politisch neue Rahmenbedingungen geschaffen werden, ändern sich auch die ästhetischen Narrative, die Bestätigung und Kritik einschließen.
Um die Spezifizität und die Mechanismen der Identitätspolitik zwischen Kulturproduktion und Gesellschaftspolitik darzustellen, erzähle ich die Geschichte der deutsch-türkischen Literatur weniger als eine Geschichte der kulturellen Bereicherung oder als eine Geschichte von Paradigmenwechseln, Emanzipationen oder der Konstruktion neuer Identitäten, wie sie bislang in der Forschung in Ansätzen erzählt wurde (Für viele: Seyhan 2000, Adelson 2005, Cheeseman 2007).

Vielmehr schreibe ich eine Geschichte der Übergänge, der Brüche, der Anfänge und Enden von ästhetischen und politischen Erzählweisen, die nicht danach fragt, wohin sie führen, sondern woher sie kommen und was ihren Wandel bestimmt. Mit Hilfe eines Narrativbegriffs mittlerer Reichweite zeige ich eine Transformations- und Prozessgeschichte von den 1960ern bis heute auf, die ich in vier Phasen einteile. Um das komplexe und enge Verhältnis zwischen ästhetischen und politischen Narrativen plausibel darstellen zu können, habe ich für jede Phase ein Gesellschaftspolitik, Film und Literatur umfassendes Narrativ herausgearbeitet. Es sind Narrative, die in ihrer Diktion an Alltagskommunikationen erinnern und für Dispositive von mittlerem Härtegrad stehen (Vgl. Koschorke 2011, S. 30).

Für die erste Phase Mitte der 1960er bis Ende der 1970er lautet das bedürfnisorientierte Rahmennarrativ: „Wir wollten alle Amerikaner werden“. Die zweite Phase, die von Ende der 1970er bis Ende der 1980er greift, ist mit der Frage: „Wie lebt es sich als Türke in Deutschland?“ von einer national-kulturalisierenden Rahmung geprägt. Für die 1990er gilt das körper- und subjektbezogene Narrativ: „Wie lebt es sich in Deiner Haut?“. In der letzten Phase, die etwa 2003 beginnt, dominiert die diversitätsorientierte Frage: „Was lebst Du?“.

In allen Narrativen und in ihrer Abfolge spiegeln sich Identitätspolitiken, die die Geschichte individueller und sozialer Formationen geprägt haben. So erweist sich die Geschichte der deutsch-türkischen Kulturproduktion nicht nur als Geschichte dieser Medien, sondern auch als Geschichte der Narrative der Integration in der Bundesrepublik Deutschland.