Remaking Monetary Authority
Die Transformation der Zentralbanken vor der Weltfinanzkrise
Abstract
Zwischen ca. 1970 und den 1990er Jahren entwickelten sich Zentralbanken von wenig beachteten, eher marginalen Bürokratien zu zentralen, prominenten Organisationen der Wirtschaftspolitik. Spätestens seit dieser Zeit zählen die turnusmässigen Zinsentscheidungen der Notenbanker und ihre öffentlichen Aussagen zu den wichtigsten wirtschaftspolitischen Ereignissen. Sie finden nicht nur unter Teilnehmern der Finanzmärkte, sondern auch in den Massenmedien Beachtung. Aufgrund dieser gewachsenen Macht, die sich seit den 1990er Jahren weiter konsolidiert hat, nahmen Zentralbanken im Zusammenhang der Weltfinanzkrise die Rolle der wichtigsten Krisenmanager ein.
Die Weltfinanzkrise hat jedoch auch die Kehrseite des gegenwärtigen Zentralbankregimes sichtbar gemacht. Denn Zentralbanken haben ihre Macht in einer Phase kapitalistischer und politischer Entwicklungen gewonnen, deren Bewertung heutzutage kontrovers ausfällt: Zum Einen nahm seit den 1970er Jahren die Expansion der Finanzmärkte und das Schuldenwachstum immer weiter Fahrt auf. Auch wenn Zentralbanken durch den Rückgang von Inflationsraten und die Dämpfung von Konjunktureinbrüchen an Legitimität gewannen, so verhielten sie sich bestenfalls passiv, in manchen Hinsichten sogar unterstützend gegenüber dem exponentiellen Wachstum des Finanzsektors und der Schuldenberge. Diese, während der „Great Moderation“ wenig beachtete Verstrickung von Zentralbanken in das finanzielle Geschehen ist spätestens durch die Bankenrettungen und Marktinterventionen seit 2007 wieder in das öffentliche Bewusstsein gerückt. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob das Erstarken der Geldpolitik zur Schwächung anderer wirtschaftspolitischer Interventionsformen beigetragen hat. So lässt sich eine Asymmetrie in den politischen Handlungsmöglichkeiten ausmachen, die auch zur Folge hat, dass Staaten bisher den wachsenden sozioökonomischen Ungleichheiten kaum etwas entgegenzusetzen wissen.
In meiner Monographie möchte die Transformation von Zentralbanken in dem genannten Zeitabschnitt historisch vergleichend erforschen, soziologisch konzeptualisieren und auf die genannte Problemkonstellation beziehen. Dabei stellen sich sowohl theoretische wie empirische Herausforderungen. Die bisherigen Publikationen zum institutionellen Wandel von Zentralbanken haben sich vor allem für die erstaunliche Konvergenz in den politischen Mandaten, Interventionstechniken und soziokulturellen Einbettungen von Zentralbanken interessiert, die sich vor allem für die 1990er Jahre konstatieren lassen. Beobachtet wurde eine Angleichung der institutionellen Mandate (Preisstabilisierung), der Entscheidungsverfahren (mittels ökonomischer Vorhersagen) und der Aufstieg geldpolitischer Experten. Es fehlt jedoch weitestgehend an einer überzeugenden Erklärung, wie es zu dieser Konvergenz gekommen ist. Auch verfügen die Arbeiten über keine analytisch überzeugende Begrifflichkeit, um genannten Aspekte des Zentralbankregimes in ihrem intrinsischen Zusammenhang zu charakterisieren; man orientiert sich weitestgehend an den Kategorien aus dem geldpolitischen Feld (etwa in der Verwendung von Vokabeln wie „institutionelle Unabhängigkeit“ und „Accountability“), die allerdings in einer kritischen historisch-soziologischen Analyse dekonstruiert werden müssten. Zuletzt fehlt den bisherigen Arbeiten an einem analytischen Rahmen, der es erlauben würde einen Zusammenhang zwischen den Prozessen der internationalen Konvergenz von institutionellen Formen und den latenten Funktionen des neuen Zentralbankregimes in einer finanzialisierten, von Ungleichheit charakterisierten Wirtschaft herzustellen. Dieser analytische Mangel ist selbst in denjenigen Publikationen evident, die grundsätzlich eine kritische politökonomische Perspektive einschlagen. Denn letztere Arbeiten beziehen die Entscheidungen von Zentralbanken zwar auf Schuldenexpansion und Ungleichheit. Doch verfügen die Autoren über kein geeignetes Vokabular die entsprechenden Entscheidungen aus der spezifischen institutionellen Logik von Expertise-basierter geldpolitischer Steuerung abzuleiten (sie stellen stattdessen auf Klasseninteressen oder auf politischen Opportunismus ab).
In meiner Arbeit möchte ich mittels eines eigenen historisch-soziologischen Narrativs und mittels eines eigenen analytischen Rahmens zur Vergleichung verschiedener empirischer Fälle die genannten Schwächen der bisherigen Forschung überwinden. Dabei geht es mir insbesondere darum den intrinsischen Zusammenhang zwischen Prozessen der institutionellen „Vereindeutigung“ und ihrer latenten Funktionen in einem sich wandelnden politökonomischen Umfeld aufzuzeigen. Mit Blick auf diesen Zusammenhang werde ich vier Fallbeispiele historisch vergleichend analysieren– Deutschland, Großbritannien, die Vereinigten Staaten und die Schweiz. Ich fokussiere mich auf die vier genannten Fälle, weil sie in komplementärer Weise aufzuzeigen erlauben, wie sich Prozesse der institutionellen Vereindeutigung und Verschiebungen in den latenten Funktionen des central banking über einen Zeithorizont von c.a. 40 Jahren vollzogen haben: Die deutsche Bundesbank und die Schweizerische Nationalbank zählen zu den ersten Zentralbanken, die aus der Verengung ihrer institutionellen Mandate in den 1970er Jahren Machtgewinne erzielen konnten; und die Bank of England und die Federal Reserve Bank sind diejenigen Zentralbanken, deren institutionelle Entwicklung am stärksten mit Prozessen der Finanzialisierung verwoben ist.
Zur vergleichenden Analyse der Fälle in verschiedenen historischen Phasen werde ich insbesondere vier Entwicklungen in den Blick nehmen, die in ihrem Zusammenwirken ein institutionelles Modell des „Governing by Abstraction“ (Stinchcombe) hervorbrachten: die Explikation und Eingrenzung der legitimen Verantwortlichkeiten von Zentralbanken; die Einengung und Funktionalisierung ihrer Interventionstechniken; die kulturelle Homogenisierung der Zentralbankorganisationen; und schließlich die rechtliche Konsekration der politischen, operativen und kulturellen Vereindeutigung. Ich werde alle vier Aspekte des „Governing by Abstraction“ auf die latenten Funktionen beziehen, die es in Bezug auf strukturelle Veränderungen im politökonomischen Umfeld einnimmt. So werde ich etwa aufzeigen, dass die Funktionalisierung von Interventionstechniken explizit der verbesserten Steuerung makroökonomischer Prozesse diente, gleichzeitig aber die Verschiebung im Finanzsektor hin zu einem „market-based banking“ beförderte.