Zeit-Geschichten. Postrevolutionäre Memoiren in Frankreich und das Werk Stendhals
Abstract
Thematischer und chronologischer Ausgangspunkt meiner Arbeit ist die Konjunktur von Memoiren und weiterer populärer historischer Literatur in den 1820er und 30er Jahren. Parallel dazu entsteht ein neuartiger realistischer Roman, dessen Realismus seit Auerbach zur Diskussion steht, ohne dass dessen ‚zeitgeschichtliche Unterbauung‘ dieselbe Aufmerksamkeit erfahren hätte. Stendhals Le Rouge et le Noir stand dabei lange im Zentrum einer kontroversen Debatte um den Status des Realismus. Meine Arbeit eröffnet über die Einbeziehung zeitgenössischer Publikationsphänomene wie der populären Memoirenschriften einen neuen Blick auf das Werk Stendhals und wendet es zeitgeschichtlich. Die viel beforschte „strukturelle“ Nähe zwischen faktualer und fiktionaler Erzählung (Ricœur) bedarf konkreter Vermittlungsformen, als die ich die zeitgenössische Faszination für und Konjunktur des Phänomens der populären Memoiren ansehe.
Stendhals Werk steht dabei zwischen einer emphatischen Zeitgenossenschaft und einem kritisch-distanzierten Schreiben, das sich in vielfacher Hinsicht auf vorgängige Memoirenschriften stützt. Erst die behauptete Position einer aktiven Teilhabe bildet die Legitimation für die Integration fremder Erzählungen in das eigene Werk, das damit multiple Erzählungen vereint und kritisch fortschreibt. Die Arbeit bezieht neben den Romanen, literaturkritische und (auto-)biographische Schriften ein.